Claudia Bolk / Bewegend – Berichte einer Physiotherapeutin / Leseprobe

 

 

Exposé

 

 

Fast jeder von Ihnen hatte sicher schon irgendwann einmal im Laufe seines Lebens Kontakt zur Physiotherapie.

Sei es wegen Rückenschmerzen, wenn Ihre Schultern oder Knie Probleme bereiteten oder nach einem Skiurlaub, bei dem die Abfahrt glatter verlief als geplant.

Möglicherweise auch ganz ohne Urlaub, aber mit Blitzeis, wobei man sich auch böse Brüche zuziehen kann, die der oftmals sehr langen Nachbehandlung bedürfen.

 

Manche kennen Physiotherapie aus einer Reha, nach der neuen Hüfte oder dem neuen Knie,

oder nach einer Bandscheiben-Operation.

Ganz ohne Verletzung kann man auch in den Genuss kommen, zum Beispiel beim Aquafitness-Kurs.

Oder sie brauchen regelmäßige Behandlungen wegen chronischer Kopfschmerzen bzw Migräne.

Wenige begegnen einem Physiotherapeuten im Pflegeheim zum ersten Mal, wo sie vielleicht nur noch im Liegen bewegt oder beim Atmen unterstützt werden.

Die Gründe und Orte, wegen und an denen man mit Physiotherapie in Kontakt treten kann, sind mannigfaltig.

 

Wenn Patienten dann ein paar Mal bei der Therapie waren und es geht ihnen besser, vielleicht sogar nach jeder Behandlung ein bisschen mehr, dann hört man von vielen den Satz: „Sie haben aber einen guten Beruf.“

 

Nur kaum einer kennt den Beruf wirklich. Kaum einer weiß von der umfangreichen Ausbildung, die

6 Semester dauert und inhaltlich vergleichbar ist mit einem kleinen Medizinstudium, weil man in allen medizinischen Fachbereichen, von Gynäkologie über Orthopädie und Innere Medizin bis zur Neurologie und Psychiatrie von Ärzten und Professoren unterrichtet wird, die parallel an Universitäten lehren.

 

Kaum einer weiß von den Abhängigkeiten der praktizierenden Therapeuten zu den Kassen und Ärzten und von der fehlenden Autonomie.

Um einen Patienten behandeln zu dürfen, benötigen wir die Verordnung eines Arztes, oder seine Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Ärzte aber stellen nicht immer gerne Verordnungen aus, oft aus Unwissenheit über den Zweck, meistens mit der Argumentation, das ihr Budget erschöpft sei und sie die Therapien aus eigener Tasche zahlen müssten.

Eigenständig dürfen wir nicht handeln.

 

Heilpraktikern ist dies erlaubt, wobei jeder Fleischer oder Zimmermann eine Heilpraktiker-Prüfung absolvieren kann, durch die ihnen Befugnisse für eigenständiges Behandeln von Patienten zuteil werden.

Sogar per Fernstudium ist eine Vorbereitung zur amtsärztlichen Prüfung für jedermann möglich. Kosten: knapp 3000 Euro.

Voraussetzung zum Ablegen einer Prüfung:

Lediglich die Vollendung des 25. Lebensjahres, mindestens ein Hauptschulabschluss, keine Vorstrafen und keine ansteckenden Krankheiten ( Vorlage des Gesundheitszeugnisses ).

 

Sicherlich kann auch ein Physiotherapeut solch eine Prüfung ablegen, allerdings hat er ja bereits ein Staatsexamen erworben, wobei er ziemlich eindeutig seinen Wissensstand auf dem medizinischen Sektor bewiesen haben sollte.

Immerhin handelt es sich um über 20 Prüfungen, die man dafür innerhalb von 5-6 Wochen schriftlich und mündlich, sowie praktisch an realen Patienten ablegen muss.

 

In keinem anderen Beruf muss man nach Beendigung der Ausbildung noch so viele Zusatzqualifikationen erlangen, um überhaupt auf dem Markt gefragt zu sein.

Die Kosten dafür, die meist in die Tausender-Beträge gehen, hat man selbst zu tragen.

Die reine Ausbildung, trotz der hohen Kosten und Qualifikation, scheint kaum einen Deut wert zu sein.

 

 

Kaum einer weiß, dass Physiotherapeuten in den meisten Einrichtungen und Praxen nicht viel mehr verdienen, als den derzeitigen Mindestlohn.

( Anzunehmen, dass der private Physiotherapeut von Frau Merkel ein bis zwei Euro mehr verdient. )

Es erklärt sich vielleicht von selbst, dass man in den Jahren, die bis zum Erwerb der vielen Zertifikate vergehen, keinen Urlaub machen kann, da alles Geld und auch Zeit in Weiterbildungen investiert werden müssen.

Denn bezahlter Bildungsurlaub steht einem lediglich für eine Woche pro Jahr zu.

Ich selbst habe alleinerziehend mit 2 Kindern in einer Praxis 30 Stunden gearbeitet und brauchte ein Zubrot vom Jobcenter, da mein Gehalt unter dem Sozialsatz lag.

 

Physiotherapeuten haben keine Lobby, wir bringen kein Geld ein in die Staatskassen.

Wir arbeiten mit den Händen, eventuell benutzen wir noch etwas Matsch (Fango) oder Strom (Elektrotherapie), den Rest erledigen Kraftgeräte oder Pezzibälle.

Am Ende gehen sehr viele Menschen gesund nach Hause, und das ist natürlich auch ungünstig.

Denn Krankheit bringt mehr Geld in die Kassen als Gesundheit.

Lukrativer ist es da, wenn ein Arzt teure Medikamente verschreibt oder eine saftige

MRT – bzw CT-Untersuchung anordnen kann.

Aber am allerbesten ist natürlich eine schöne Operation.

Ein bißchen am Rücken schneiden, ein wenig am Knie, oder was aus dem Bauch rausholen…

Das sind die besseren Geschäfte.

Ärzte bringen mehr Geld ein, deshalb verdienen sie auch mehr.

Mehr Zeit für den Patienten haben sie dabei allerdings nicht.

Beim Arzt bekommt man das Sprechzimmer nur für durchschnittlich 8 Minuten von innen zu sehen, einen Behandlungsraum des Physiotherapeuten mindestens für 20 Minuten. Manche Therapeuten behandeln noch 30 Minuten, obwohl sie nur 20 von den Kassen bezahlt bekommen.

Wenn ein Patient nach einer Behandlung wieder arbeiten gehen kann, bringt das zwar auch Geld ein, aber nicht zusätzlich, es stellt nur den ursprünglichen Zustand der Einnahmen wieder her.

Manchmal können Menschen aber nicht mehr arbeitsfähig gemacht werden. Wenn es sich bei ihren Leiden um sehr schwerwiegende Erkrankungen handelt, wie zB nach Schlaganfall oder mit Parkinson, dann kann man oft nur einen gewissen Stand erhalten, damit die Menschen so selbstständig wie möglich leben können, und dabei ihre Lebensqualität so hoch ist, wie es irgendwie geht.

Dabei werden unter Umständen Kosten für häusliche Pflege oder andere Versorgungen gespart, aber das rentiert sich auch nicht so sehr, als dass man darüber reden müsste.

 

 

Mein Weg zur Physiotherapie war eher pragmatisch, ein wenig zufällig.

Nichts desto Trotz führe ich den Beruf nun seit fast zehn Jahren jeden einzelnen Tag mit ganzem Herzen aus, denn die kranken Menschen sind nicht Schuld an der Misere des „Gesundheits“ – Systems, das nicht nur bei uns zu Lande auf Krankheit und Geld aus ist: Menschen sind ein Wirtschaftsfaktor, der Geld einbringen soll – mehr nicht.

Kranke Menschen bringen der Wirtschaft mehr ein als gesunde.

Soviel und mehr berichte ich in meinem Manuskript zur lange fälligen Aufklärung über unseren Beruf.

Dem Inhalt meiner Therapien widme ich aber den größten Teil.

 

Ich bin Physiotherapeutin und Buddhistin und verbinde die Wissenschaft mit der Spiritualität.

Generell im Leben, aber auch im Beruf denke und arbeite ich ganzheitlich.

Einer ganz besonderen Sichtweise, die nicht Inhalt der dreijährigen Ausbildung war, verdanke ich, dass ich die äußerst spannenden Zusammenhänge von Krankheit und Schmerz, sowohl physisch als auch psychisch, mit ihren meist sehr unerwarteteten Ursprüngen, erkennen kann.

 

ZB die über viele Jahre anhaltenden Nackenschmerzen einer Frau, die darin begründet waren, dass sie hier in Deutschland keine Wurzeln schlagen konnte.

Oder wie eine starke Arthrose in den Händen daher rührte, dass die Betroffene nie ausreichend zum selbstständigen Handeln befugt war.

Aber auch bei Palliativpatienten, das heißt bei Menschen mit Erkrankungen, die unweigerlich und frühzeitig zum Tod führen werden, und auch bei akut sterbenden Patienten, ist Physiotherapie von großer Bedeutung.

Für mich persönlich ist das die schönste Arbeit.

Komisch“, wird da der ein oder andere sagen. „Wozu Therapie, wenn man eh stirbt?“

Aus buddhistischer Sicht ist der Tod nicht das Ende, da es eine Wiedergeburt mit dem selben Geistbewusstsein geben wird.

Es ist für das folgende Leben äußerst wichtig, in welchem Zustand der Geist den Körper verlässt.

Aber auch wenn man daran nicht glaubt, so ist es von absoluter Wichtigkeit, ob man schmerzfrei oder wenigstens schmerzarm und ohne Ängste oder Atemnot seine letzten Wochen, Tage und Stunden verleben darf.

Lebensqualität wird zum Tod hin immer subtiler.

Sie beinhaltet etwas ganz anderes, als in Zeiten vor dem akuten Sterben.

Lebensqualität ist dann nicht mehr der beheizbare Relaxsessel mit höhenverstellbaren Armlehnen.

Es zählen dann elementare Dinge, die zu großen Glücksgefühlen führen können, wie alleine zur Toilette gehen, für 3 Minuten aus dem Fenster schauen oder einfach nur ohne Schmerzen atmen können.

Elementare Dinge geben, heißt sie auch bekommen.

Liebe, Dankbarkeit, Mitgefühl. Die Teilhabe an kleinen Wundern.

Meine erlebten Geschichten stammen aus einer ambulanten Praxis, einem Krankenhaus, einer Behinderteneinrichtung, und aus dem Pflegeheim.

Es sind berührende und erstaunliche, lustige und traurige Geschichten.

Auch über das Altwerden und was Behinderte wirklich behindert schreibe ich.

Außerdem teile ich meine ganz eigenen Erfahrungen von Heilung an mir selbst.

 

Und da ich insgesamt überwältigt bin von dem Wunder, welches wir Menschen sind, unseren Körper, unsere Seele und unseren Geist betreffend, habe ich einige Fakten und Besonderheiten aus der Anatomie und Physiologie des Menschen in zusätzliche Kapitel zusammengetragen, die den Titel „Wunder Mensch“ tragen.

Sie sind für Laien verständlich geschrieben, da ich am liebsten jeden Menschen mit meinem Manuskript zum Staunen bringen möchte.

Zum Beispiel mit dem ersten Atemzug und Schrei eines Babys und was er verursacht, oder warum Szenen aus Science Fiction Filmen wahr sind.

 

Mein Herzblut steckt in der Anregung zur Freundschaft und Zusammenarbeit von äußeren Wissenschaftlern, wie Ärzten oder Physikern etc, und inneren Wissenschaftlern, wie zB Buddhistischen Lamas oder anderen Sprituellen.

Denn beide Formen der Wissenschaften sind untrennbar eins.

Sie bestehen nur auf verschiedenen Ebenen, behandeln aber exakt die gleichen Themen, die die gesamte Menschheit beschäftigt.

Und am allerwichtigsten ist hierbei die Zusammenarbeit, wenn es um Heilung geht.

 

Ich möchte jeden Menschen ansprechen, der mehr erfahren möchte über diesen wirklich wichtigen und spannenden Beruf der PhysiotherapeutIn, und vor allem auch über sich selbst.

 

 

 

Leseprobe

 

 

Vorwort

 

Ein Schiffchen fährt im Mondenschein,

dreieckig um das Erbsenbein,

vieleckig groß, vieleckig klein,

im Kopf – da muss ein Haken sein

 

 

Lyrik aus der Anatomie.

Dieses wunderbare Gedichtlein, das einem berechtigterweise ziemlich sinnlos erscheinen kann, ist eine Eselsbrücke, um sich die vielen kleinen Handwurzelknochen in der richtigen Reihenfolge auf Deutsch zu merken.

Das Schiffchen ist das Kahnbein – Os scaphoideum,

Der Mond ist das Os lunatum und

dreieckig ist das os triquetrum.

Das Erbsenbein, os pisiforme, ist klein wie eine Erbse,

das große Vieleck heißt Os trapezium, trapezuideum das Kleine.

Im Kopf, os capitatum, ist ein Haken – ein os hamatum.

 

Ein Haken, oder auch ein Knoten im Kopf konnte man sich im Anatomieunterricht durchaus zuziehen.

Wenn man 2 bis 3 Stunden nur anatomische Begriffe auf Latein gehört hat, und sich dann endlich die Tür des Vorlesungsraumes nach Ende des Unterrichtes öffnete, torkelten wir Studenten kichernd und glucksend, wie betrunken, aus dem Raum und auch unsere Tore öffneten sich wieder, die Tore des Bewusstseins, des Thalamus.

 

Wir nahmen die normale Welt außerhalb des menschlichen Körpers mit seinen rund 656 Muskeln, 206 Knochen und über 100 Gelenken, mit den Hügeln und Kulen an den Knochen, die alle einen lateinischen Namen tragen, mit allen Öffnungen zwischen einzelnen Muskeln und in Häuten, welche Nerven, Blutgefäßen sowie Lymphgefäßen den Durchtritt gewähren, die auch anatomisch getauft sind, wieder wahr.

Das Cerebrum und Cerebellum, Nervus vagus, Amygdala und weitere Hirnbestandteile, die nun voll aktiviert rot blinkend in uns aufleuchteten, mussten nun erst einmal wieder entladen und in Einklang mit allem, was Nicht-Anatomie ist, gebracht werden.

Sinnloses, albernes Zeug quatschend war es möglich.

Bzw, es war gar nichts anderes als das mehr drin, nach solch intensiven Latein-Einheiten.

Dass ich mir all diese Begriffe wirklich merken werde können, habe ich nach dem ersten Unterrichtstag für unmöglich gehalten.

Musculus sternocleidomastoideus….

Alle lachten.

Aber man glaubt es kaum, nach 8-10 Wochen denkt man schon gar nicht mehr in deutschen Begriffen.

Ich musste überlegen, wie die clavicula bei uns normalerweise heiß. Es klingt plötzlich sehr schön, und man möchte gar nicht mehr Schlüsselbein sagen wollen.

Das Hirn ist schon ein unglaublicher Computer.

Aber was nützten uns diese wunderbaren Verschaltungsmöglichkeiten, wenn wir kein Bewusstweis oder Geist hätten, um dies zu begreifen.

Wenn wir keinen Willen hätten, all das zu lernen oder wenn wir keine rechte Motivation besäßen, etwas aus dem Gelernten zu machen?

 

Fazit: Hirn alleine macht uns auch nicht schlau oder glücklich.

 

 

Physiotherapeuten sind auch nur Menschen – wenn auch andere:

Sie lernen auch im Urlaub.

Heilung ist, wenn die Fachbücher im Regal stehen bleiben.

Mir selbst war es auch eines Tages wieder möglich, Romane zu lesen oder anderen nicht-therapeutischen Tätigkeiten nachzugehen, wenn es zum Feierabend geläutet hat.

 

Fast jeder von Ihnen wird schon einmal Kontakt zur Physiotherapie gehabt haben.

Bei Schmerz oder Verletzung, vielleicht in Kursen oder Kuren.

Kaum einer kennt diesen Beruf jedoch genau.

Außer dass man beim Physiotherapeuten „ganz schön rangenommen wird“, wie Patienten es auszudrücken pflegen, weil man sich intensivst mit seinem Körper beschäftigen muss, und das nicht einfach nur irgendwie, und dass unglaublich viele Patienten am Ende alles, was ein Therapeut machte, als Massage bezeichnen, und es einem hinterher irgendwie meist viel besser geht, weiß man nicht sehr viel mehr darüber.

Naja, vielleicht noch die Kleinigkeit, dass der Trainingsraum der Physios in Wahrheit eine Folterkammer ist, so jedenfalls wird er von Patienten oft liebevoll genannt.

 

Sie haben aber einen guten Beruf“, hört man dann nicht selten die Patienten staunen.

Die Bedingungen, unter denen Physiotherapeuten arbeiten, sind allerdings stark überholungsbedürftig und alles andere als gut.

So lassen Sie sich aufklären über diesen guten Beruf, auch wenn Sie ihn gar nicht erlernen wollen.

Spannend wie der des Rechtsmediziners ist er allemal, nur leben die Menschen noch, mit denen wir es zu tun haben.

( Perfekt läuft es, wenn sie im Anschluss an die Therapie auch noch leben.)

Und lassen Sie sich bereichern mit Eindrücken über das, was man mit den Menschen zusammen erleben und von Ihnen lernen kann über das Leben, Heilung und sich selbst.

Vielleicht ist alles nur ein Trugschluss, und die wahren Therapeuten sind die Patienten.

 

 

Viel Spaß mit meiner Aufklärungslektüre über den Beruf des Physiotherapeuten und über das Wunderwerk Mensch.

Viel Freude mit den Berichten der wunderbaren ganzheitlichen Erlebnisse, die ich in den letzten 9 Jahren mit Patienten und mit mir selbst sammeln durfte.

 

 

Fast alles über die Physiotherapie

 

Physiotherapeuten haben sehr vielfältige Aufgaben zu tätigen.

In der Ausbildung erhalten sie ein kleines Medizinstudium.

Man erlernt natürlich ausgiebig die Anatomie und Physiologie des Menschen. Das ist die Basis.

Es wird unterrichtet in den Fachbereichen Neurologie, Innere Medizin, Orthopädie, Chirurgie, Pädiatrie, wie auch in der Gynäkologie, Psychologie und Psychiatrie.

Und dann gibt es auch noch spezielle Unterrichtseinheiten der Physiotherapie, wie Bobath, Atemtherapie, Elektrotherapie, Hydrotherapie, Trainingslehre, klassische Massagetherapie und noch einiges mehr.

 

Man absolviert einen großen Anteil theoretischen Unterricht, lernt aber vor allem sehr praktisch.

Alle Techniken, die man später am Patienten beherrschen muss, üben die Kommelitonen gegenseitig aneinander.

Das bedeutet: alles, was man am Patienten tut, hat man auch an sich selbst erfahren und an gleichwertigen Versuchskaninchen bereits ausgiebig geprobt.

Dass man selbst alles gespürt hat, ist eine sehr wichtige Erfahrung und Voraussetzung, um gut mit den Patienten umzugehen.

Bei einer Weiterbildung für Manuelle Medizin, an der auch Ärzte teilnehmen konnten, machten wir nicht selten die Erfahrung, von einem Doktor beinahe einen Wirbel oder andere Gelenke gebrochen zu bekommen.

So ungeübt sind sie zum Teil in Bezug auf Berührungen mit Menschen, sprich: mit potentiellen Patienten.

Ihr einziger Kontakt zum Menschen beruht oft nur auf dem Anlegen des Stethoskops oder der Blutdruckmanschette.

 

Ein Physiotherapeut hat einen sehr wichtigen Einfluß auf den Gesundheitszustand der Patienten, die in den meisten Fällen wegen Schmerzen, oder aber aufgrund von Einschränkungen bei bestimmten Bewegungen zur Therapie kommen.

Wenn sie an der Ausführung wichtiger oder auch alltäglicher Handlungen gehindert sind.

Viele sind sogar krank geschrieben.

Manche sind chronisch krank.

Andere Menschen wiederum haben Unfälle erlitten, durch die sie körperliche Schäden davontragen, wie zum Beispiel Knochenbrüche. In schlimmeren Fällen sind es neurologische Ausfälle.

 

Bei Atemwegserkrankungen benötigt man Atemtherapie und auch muskuläre Behandlungen, da sich durch eine erschwerte Atmung und den daraus resultierenden Angstzuständen bei Erstickungsanfällen schwere Verspannungen entwickeln, die ihrerseits das tiefe Atmen verhindern.

 

Bei Parkinson, Multipler Sklerose oder nach einem Schlaganfall etwa, müssen Bewegungen wieder erlernt werden oder es bedarf regelmäßiger Behandlungen, damit Bewegungen erhalten bleiben.

Alles, damit man alltagstauglich ist und eine höhere Lebensqualität erfahren kann.

 

Sogar Menschen, die im Koma liegen erhalten Physiotherapie. Sie müssen regelmäßig durchbewegt werden, um Kontrakturen, die mit großen Schmerzen verbunden wären, zu vermeiden.

 

Palliative Patienten und auch sterbende Menschen finden Hilfe durch Atemtechniken oder Entspannung, die Ängste abbauen und Schmerzen lindern.

Man kann Erleichterung schaffen und die Lebensqualität der letzten Lebensphase enorm steigern, Wohlbefinden fördern mit kleinen unterstützten Bewegungen, die sonst allein nicht mehr möglich wären oder auch mit der Lymphdrainage, die Wassereinlagerungen entgegenwirkt, und somit auch wiederum Druck und Schmerz reduziert.

 

Sogar Babys werden wegen körperlichen Beschwerden behandelt, die größtenteils bereits durch die Geburt entstanden sind, wie Deformierungen am Schädel. Und die etwas größeren Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, wie zB ADS/ADHS, erhalten psychomotorische Behandlungen.

 

Auch geistig wie körperlich behinderte Menschen werden physiotherapeutisch unterstützt.

Nicht nur mit Körpertherapien, sondern auch durch Versorgung mit Hilfsmitteln, wie Rollstühlen oder anderen nützlichen Geräten, die den Alltag erleichtern und die Teilnahme am sozialen Leben fördern sollen, die den körperlichen Fehlstellungen entweder entgegenwirken oder aber sie stabilisieren, damit ein progredienter (kontinuierlich schlechter werdender) Verlauf verlangsamt oder verhindert wird.

Man führt Esstraining durch und gibt entscheidende Hilfen, damit zum Beispiel ein Spastiker sich bei den Mahlzeiten nicht verschluckt, wenn man ihm die Nahrung zuführt, die er meist nicht selbst zu sich nehmen kann, oder man übt, dass er sie selbst zu sich nehmen kann.

Zu guter Letzt noch das Rollstuhltraining.

Ziel: Selbstständigkeit – Autonomie.

 

In psychiatrischen Einrichtungen, für Erwachsene wie auch für Kinder und Jugendliche, ist ein wichtiger Schwerpunkt die Wahrnehmungsschulung.

 

Das ist nur ein kleiner Einblick in die Vielfältigkeit dieses Berufes.

 

Und dabei habe ich hier nicht einmal erwähnt, dass man auch im Sportbereich auf den Physiotherapeuten nicht verzichten kann, der massiert, die bunten Kinesiotapes klebt, dehnt, trainiert oder Zerrungen und andere Verletzungen behandelt.

Oder dass präventiv viele Angebote laufen, Kurse die Krankheiten und Schmerzen vorbeugen, die zum Teil von den Kassen bezuschusst werden.

 

Du kannst nicht nur in einer Praxis arbeiten, sondern auch in Alten- und Pflegeheimen, Kindergärten, Psychiatrien oder Sportstudios und vieles mehr.

 

Bei diesen vielfältigen und auch wertvollen Aufgaben, hat allerdings ein Physiotherapeut äußerst wenig Autonomie.

Er darf nicht eigenständig behandeln, sondern nur, nachdem ein Arzt eine Verordnung ausgestellt hat.

Außer wenn es sich um Wellness-Geschichten handelt, die quasi gekauft werden können, wie zB eine Fußreflexzonen,- oder

Hot-Stone-Massage.

Möchte ein Patient selbstzahlend ganz normale Krankengymnastik, weil es ihm eben gut tut, so muss dennoch erst ein Arzt eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ ausstellen.

Ohne dem geht es nicht.

Einem Heilpraktiker ist das selbstständige Behandeln, ohne dass vorher ein Arzt grünes Licht gegeben hat, erlaubt.

Der Clou an der Geschichte ist, dass jeder Fleischer oder Koch eine Heilpraktikerprüfung ablegen kann.

Selbst per Fernkurs ist das heute möglich.

Man zahlt in etwa 3000 Euro und wird auf die Prüfung vorbereitet.

Voraussetzung zum Ablegen einer Prüfung:

Lediglich die Vollendung des 25. Lebensjahres, mindestens ein Hauptschulabschluss sollte vorhanden sein, keine Vorstrafen und keine ansteckenden Krankheiten.

( Vorlage des Gesundheitszeugnisses)

 

Ein Physiotherapeut kann selbstverständlich so eine Prüfung auch machen.

Aber hat er nicht schon mit über 20 Prüfungen für das Staatsexamen ausreichende Fachkenntnis bewiesen?

 

 

Wenn man beim Arzt ist, läuft es meistens so ab, dass der Patient in das Behandlungszimmer kommt, und nach durchschnittlich 8 Minuten wieder draußen ist.

Unter Umständen wurde er nicht einmal vom Arzt angefasst, ihm wurden lediglich ein paar Fragen zur direkten Beschwerde gestellt, aber mehr nicht.

 

Die Patienten sind so konditioniert, dass sie beim Arzt, trotzdem sie einen Termin haben, bis zu zwei Stunden warten bis sie dran sind, beim Physiotherapeuten allerdings beginnen sie bereits nach 3 Minuten, die ihren angegebenen Therapiestart überschreiten, wie ein Tiger im Käfig hin und her zu laufen, oder Personal aufzusuchen, um sich zu erkundigen, wo der Therapeut endlich bleibt.

Was nichts anderes aussagt, als dass es normal ist, beim Arzt sehr lange warten zu müssen, und dass man beim Physiotherapeuten sehr pünktlich dran kommt, meist auf die Minute genau, was auf eine gute Arbeitsplanung hindeutet.

 

Die wahren Ursachen oder noch weitere Beschwerden zeigen sich oft erst beim Besuch in der Physiotherapie-Praxis selbst.

Denn dort hält sich der Patient mindestens 20 Minuten, oft sogar 30 Minuten in Behandlung auf, in speziellen Fällen auch länger, zum Beispiel bei neurologischen Krankheiten, oder wenn er zwei Verordnungen miteinander kombiniert, wie beispielsweise 30 Minuten Lymphdrainage und 20 Minuten Krankengymnastik.

 

Die Berührung eines Patienten mit unseren Händen ist das Hand-Werk des Physiotherapeuten.

Ohne dem wären wir keine Physiotherapeuten.

So sehe ich das. Auch wenn es in der Tat einige Ausnahmen gibt, die strikt Berührungen mit Patienten vermeiden, und nur mit Geräten arbeiten.

 

Es gibt natürlich einiges an Schnickschnack, Geräten und Hilfsmitteln, die man für eine Therapie einsetzen kann, manches ist sehr nützlich und manches kann man getrost weglassen – Dinge die die Welt nicht braucht.

Wenn man eine eigene Praxis eröffnen möchte, erhält man diverse Auflagen, die für eine Praxisgenehmigung zu erfüllen sind.

Zum Beispiel hat man eine Sprossenwand zu montieren.

Dies ist sicherlich noch ein Relikt aus fernen Zeiten, da Rückenbehandlungen „Orthopädisches Turnen“ hießen, und der Physiotherapeut ein Krankengymnast war.

In den 70-ern habe ich als Kind selbst auch an solch einer Sprossenwand turnen müssen.

Außer der obligatorischen, und manchmal sogar auch nützlichen Sprossenwand, setzen wir zum Beiepiel Ergometer ein, Kraftgeräte, Pezzibälle, Schwingstäbe, Therapiekreisel und so weiter und so fort.

 

Aber unsere Hände sind das Urwerkzeug.

Der Patient wird Be-HANDELT im wahrsten Sinne des Wortes.

Und es steht viel Zeit zur Verfügung, um sehr nützliche Informationen auszutauschen, die weit über jene hinaus gehen, wo der Patient Schmerzen hat und wie lange.

 

Das ist, was der Arzt weiß.

Ein Physiotherapeut aber schaut sich nicht nur ganz genau an, wo und wie welche Bewegungen im Einzelnen gehen, macht verschiedene Tests, die besagen können, ob zB Gelenke, Muskeln oder andere Strukturen, wie Bänder, einen Schaden haben, fragt nach Alltagsbewegungen, Schlafgewohnheiten, die man sich notfalls auch vorführen lässt, nach dem Beruf und der dort erforderlichen Haltung und nach Bewegungsabläufen, erkundigt sich nach sportlichen Aktivitäten usw, sondern er hat auch die Zeit, während einer Behandlung die Gespräche in vermeindlich ganz unscheinbare Bereiche zu lenken, die aber oft das meiste darüber aussagen, warum der Patient wirklich krank ist oder Schmerzen hat.

Da geht es dann um Probleme und Sorgen, um Emotionen, schlimme Erlebnisse und Stress.

 

Dennoch dürfen wir keine Diagnosen stellen, selbst wenn wir kompetent genug sind, auch ohne Arzt oder sogar trotz Arzt, der auch in manchen Fällen nicht die richtigen Diagnosen stellt.

 

Ich schreibe diese Dinge, um einmal eine interessante Gegenüberstellung von Arzt und Therapeut in unserer Gesellschaft herzustellen.

In ihrem Handeln und auch in ihrer Bedeutung.

Und ich denke, fast jeder hat diese enttäuschenden Erfahrungen bereits gemacht, dass ein Arzt heute keine Zeit mehr hat, und einem manchmal nicht mal richtig in die Augen sieht.

Dass er nur etwas verschreibt gegen das genannte Symptom, oder weiter verweist zum nächsten Arzt, bei dem man entweder genauso oder ähnlich behandelt wird.

Unsere Patienten jedenfalls beklagen sich darüber.

 

Es gibt selbstverständlich auch einige Ärzte, die es anders handhaben, die sich Zeit nehmen und den Menschen als Ganzes betrachten, ihm zuhören, aber das scheint leider eher die Ausnahme, als die Regel zu sein.

Genauso gut gibt es auch Physiotherapeuten, die ihr Handwerk besser an den Nagel hängen sollten, da sie ziemlich oberflächlich handeln.

 

Warum es sich so entwickelt hat, ist fraglich.

Man könnte meinen, dass die Ärzte genötigt sind, zu viele Patienten pro Tag zu behandeln, damit sie überhaupt ihre Kosten decken können.

Aber ob das wirklich der einzige Grund ist, sei dahingestellt.

Denn ein Physiotherapeut mit Praxis muss ebenso alle Kosten abdecken für Personal, Miete, Material usw.

 

Dann kommt auch schon das nächste Problem: nämlich, dass die Ärzte sich leider sehr oft ziemen, Verordnungen für Therapien auszustellen, da sie fürchten, über das Ihnen verfügbare Budget zu kommen und dann die Kosten für die verordneten Therapien selbst tragen zu müssen.

Viele Ärzte verordnen aus diesem Grund mit den absurdesten Argumentationen vorsichtshalber gar nichts.

Die Patienten berichten, wenn sie doch eines Tagen zu uns kommen, oder wenn sie nach einem Arztwechsel eine Verordnung erhalten haben, mit welchen Worten sie beim Arzt vertröstet bis abgespeist wurden.

Gehört habe ich unter anderem schon: „Das bringt eh nichts“,

oder: „Sie sind zu alt für eine Therapie.“

Auch die Physiotherapeuten bekommen oft ihre Leistungen von den Kassen nicht bezahlt. Da reicht es schon, wenn auf der Verordnung ein kleines Kreuz fehlt,da es vom Arzt beim Ausfüllen vergessen wurde.

Und schon bekommt man kein Geld für die ganzen darauf enthaltenen und geleisteten Therapien.

Der Physiotherapeut muss also auch immer die Verordnungen bis ins Kleinste Detail kontrollieren.

Die Verordnungsanzahl und die darauf enthaltenden Behandlungseinheiten sind ohnehin sehr eingeschränkt.

Sie sind nach Heilmittelrichtlinien genau festgelegt.

Meistens bekommt man höchstens drei Verordnungen für eine Diagnose, und pro Verordnung hat man dann in der Regel sechs Termine bei der Physiotherapie.

Aber oft rücken die Ärzte nicht einmal mit diesen drei Verordnungen raus.

Nun sind wir auf diese aber angewiesen, da wir wie gesagt ohne nicht behandeln dürfen.

Was unsere Abhängigkeit verdeutlicht.

Schönen Dank auch.

 

Allerdings gibt es auch Ausnahmen. Zum Beispiel im Falle von Palliativversorgung.

Hier dürfen sogar mehrere Therapien gleichzeitig verordnet werden, die in vielfältigster Weise miteinander kombiniert werden und täglich erfolgen können, so dass Therapieeinheiten von eineinhalb Stunden oder mehr zustande kommen.

Wie zum Beispiel Massage, Manuelle Therapie oder Bobath, Lymphdrainage und Fango.

Und das wie gesagt TÄGLICH.

Das ist ein wenig paradox.

Nicht, dass ich es gut heißen würde, wenn den totkranken Menschen, wie zum Beispiel den an ALS Erkrankten, diese Therapien auch gestrichen werden würden.

 

ALS ist die große Schwester von MS, Multipler Sklerose. Nur aggressiver und meist sehr schnell tödlich verlaufend. Die Krankheit bringt Muskellähmungen am ganzen Körper mit sich, auch in der Atemmuskulatur, so dass nicht nur Bewegungen nach und nach wegfallen, sondern auch die Atmung. Man kennt es vielleicht durch Mr. Hawking, der allerdings einen sehr ungewöhnlichen Verlauf dieser Krankheit erfährt. Er lebt schon seit über 40 Jahren mit ihr und meint immer noch, es gäbe keine Wunder.

Daß dieser reine Kopfmensch selbst ein Wunder ist, hat er vielleicht noch nicht realisiert.

Mr. Hawking ist der Meinung, dass ein Wunder nur eine Begebenheit sein kann, welche gegen die physikalischen Gesetze verstößt. Er denkt also, dass Wunder auch berechnet werden müssten.

Aber normaler Weise hätte er schon vor vielen Jahren sterben müssen, wenn es nach den normalen Verläufen und Gesetzmäßigkeiten der Wissenschaft Medizin gegangen wäre.

 

Allerdings ist es natürlich absurd, dass denjenigen Menschen, die voraussichtlich weiter leben werden, die Therapien oft sogar ganz verweigert, bzw eben nur in stark limitierter Auflage ermöglicht werden, und viele sich schon wie Bettler vorkommen, wenn sie eine Verordnung dringend brauchen und beim Arzt darum bitten.

( Schlimm genug, dass Patienten darum bitten müssen und es nicht selbstverständlich ist, dass man Physiotherapie verordnet.)

 

Auch wenn sehr viele Menschen durch die Therapie wieder arbeiten gehen können oder anderen, sehr viel kostspieligeren Therapieformen, wie Medikamentengabe oder Operationen, dadurch entkommen.

 

Da ist es natürlich fraglich, wie man zB einen akuten Bandscheibenvorfall, der womöglich durch Belastung am Arbeitsplatz entstanden ist, wie zum Beispiel in der Altenpflege, in 6x 20 Minuten heilen soll, selbst dann, wenn man dem Patienten nebst Linderung durch sein therapeutisches Handwerkzeug auch Eigenübungen und Tipps für den Alltag mit an die Hand gibt, damit er auch außerhalb der Therapie etwas für sein Wohlbefinden tun kann.

Das ist schier unmöglich.

Es wird stark gegeizt mit der Ausstellung von Verordnungen, aber eine Operation, die das x-fache kostet, wird ohne mit der Wimper zu zucken gewährt und von den Krankenkassen übernommen.

An Operationen folgt in der Regel eine Anschlußheilbehandlung, die finanziell auch nicht ohne ist.

Wobei eine Operation an der Bandscheibe bekanntermaßen nicht selten Folgeschäden mit sich bringt, da die Narbe des OP-Bereiches, also direkt an der Bandscheibe, neue und dauerhafte Beschwerden nach sich ziehen kann, denn Narbengewebe kann wuchern und dann wiederum auf die Nerven drücken.

Manchmal sogar noch schlimmer als vorher.

 

Zum Thema Bandscheiben muss man allerdings auch sagen,dass zwar oft ein Bandscheibenvorfall auf dem MRT zu sehen ist, dieser muss aber gar nicht zwingend die Ursache für die akuten Beschwerden sein, die der Patient angibt.

Das weiß man deshalb, da auch hierüber bereits Studien betrieben wurden, bei denen von völlig beschwerdefreien Patienten eine MRT-Aufnahme erstellt wurde, auf dem trotzdem nicht selten eine Vorwölbung der Bandscheibe zu sehen war.

Mit diesen Aufnahmen zum Neurochirurgen oder Orthopäden gegangen, wollten diese in fast 80% der Fälle sofort selbst ihr Messer anlegen, oder zur OP überweisen.

Da es nicht anders ginge, sagten sie.

Das sehe man ja an der Aufnahme.

 

Wie gesagt: die Patienten waren absolut beschwerdefrei!

 

Das Procedere ist heutzutage folgendermaßen:

Man hat Rückenschmerzen, man geht zum Arzt, und der verordnet sehr schnell ein MRT.

Und wenn man dann etwas auf dem Bild sieht, wird geschlussfolgert, dass das die vermeintliche Ursache für den Schmerz sein muss.

Im Vergleich: Es ist ja auch nicht die Feuerwehr, die Schuld ist am Brand, auch wenn sie immer vor Ort zu sehen ist.

( Ausnahme ist ein öffentliches Osterfeuer. Dies wird offiziell von der Feuerwehr kontrolliert gelegt.)

Bandscheibenvorfälle sind ein ganz natürlicher Prozess der Alterung, wie Arthrose auch.

Die Bandscheibe verliert an Flüssigkeit und Elastizität, kann sich vorwölben, muss aber keine Symptome zeigen.

Auch Arthrose muss nicht zwingender Weise immer gleich Schmerzen bereiten, denn sonst hätten so ziemlich alle Menschen irgendwann einmal überall Schmerzen.

Dem ist aber nicht so.

 

Oft sind Rückenschmerzen sehr deutliche Zeichen einer ganz anderen Form von Überlastung. Nämlich von Stress und den daraus resultierenden Verspannungen, die nicht zu unterschätzen sind in ihrer Komplexität und Intensität.

Es muss gar kein Bandscheibenvorfall vorliegen, bzw falls doch, ist dieser wie gesagt nicht zwingend die Ursache für die Schmerzen.

Ist ein Bandscheibenvorfall wirklich Schuld an den akuten Beschwerden, gibt es eindeutige neurologische Anzeichen, die wiederum der Physiotherapeut gut kennt und auch austestet.

In diesen Fällen drückt die Bandscheibe gegen den Nerven.

 

Wenn man rechtzeitig und regelmäßig für einige Wochen Physiotherapie verschrieben bekommt, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit einer Operation entkommen.

Und das nicht nur im Falle des Bandscheibenvorfalls.

Auch bei anderen Beschwerden haben die Behandlungen sehr oft den Erfolg, dass die Menschen wieder arbeitsfähig und gesund werden.

Trotz dieser großen Erfolge arbeiten wir unter den Fittichen der Krankenkassen und der Ärzte.

 

Ein anderer Nebeneffekt einer intensiven Behandlung ist nicht selten, dass die Menschen wieder Spaß finden an Bewegung und in den Rhythmus kommen, da sie bei uns und mit uns zusammen regelmäßig in kleinen Portionen das „sich bewegen“ geübt haben. Bewegungen, die in jeden noch so vollgestopften Alltag reinpassen, je nach Patient sorgfältig angepasst.

Wo die Menschen vorher vom inneren Schweinehund ausgebremst wurden, nach der belastenden und erschöpfenden Arbeit nun auch noch Sport machen zu müssen.

Nicht selten warten zu Hause diverse weitere Verpflichtungen, denen man erst einmal nachgehen und gerecht werden muss, bevor man irgendwann eventuell an sich selbst denken kann.

Kinder, Haushalt, Tiere, Partner.

( In dieser Reihenfolge? )

Da Patienten aber während der Therapiezeit die Erfahrung des Wohlbefindens durch Bewegungen gemacht haben, ist es oft für sie im Anschluss selbstverständlich, sich auch ohne Physiotherapeut an der Seite weiter zu bewegen, bestenfalls sogar in einem Sportverein anzumelden.

Das nennt man Nachhaltigkeit.

 

Reden wir mal übers Geld:

Als frisch ausgebildeter Therapeut kann es dir passieren, dass du in einer Praxis nur 10 Euro brutto verdienen sollst. In manchen Bundesländern sogar noch weniger.

Ein Physiotherapeut verdient nicht selten kaum mehr als den kürzlich eingeführten Mindestlohn.

Und das mit einem Staatsexamen.

 

Ein weiteres Übel, was bei uns Physios dazu kommt ist, dass wir nach unserer, wie ich finde exzellenten Ausbildung, nach der wir jede Struktur des Körpers benennen, ertasten und behandeln können, scheinbar nie fertig sind mit lernen.

Denn nach der Ausbildung braucht man noch diverse Weiterbildungen, wie die Lymphdrainage, Manuelle Therapie oder Bobath, um in einer Praxis überhaupt eingestellt zu werden und statt 10 Euro vielleicht 11,50 Euro zu verdienen.

Diese Weiterbildungen muss man in aller Regel selbst finanzieren.

Und nun kostet die Lymphdrainage zum Beispiel, die wirklich in jeder Praxis erfordert wird, nicht nur mal eben 100 – 200 Euro, was auch für manch einen schon schwer zu erwirtschaften wäre, sondern gleich um die 1400 Euro.

Eine Weiterbildung in der Manuellen Therapie, die auch in fast jeder Einrichtung erwartet wird, dauert 2-4 Jahre und beläuft sich auf Kosten in Höhe von ca 4000 Euro.

 

Diese Behandlungsmethoden werden für eine Einstellung vorausgesetzt.

Es ist notwendig dies zu beherrschen, es wird in der regulären Ausbildung, die man auch selbst zahlen muss, nur ansatzweise gelehrt.

Aber das nützt auch nichts, da man für alles ein Zertifikat vorweisen muss, also eben eine spezielle Weiterbildung mit Prüfung absolviert haben muss, um diese Behandlungen bei den Kassen abrechnen zu können – um dies in einer Praxis überhaupt behandeln zu DÜRFEN, selbst wenn ich nur angestellt bin und selbst gar nicht bei den Kassen abrechnen brauche.

Das alles muss man selbst finanzieren bei unserem geringen Gehalt.

Es gibt zwar so etwas wie Bildungsprämien, die aber nur bis maximal 500€ im Jahr für Weiterbildungen eingesetzt werden können.

Nur wenige Chefs unterstützen einen angestellten Therapeuten finanziell, wenn man sich um diese Zusatzqualifikationen bemüht.

 

Und wieso zahlen die Chefs in den Praxen, die ja selbst Physiotherapeuten sind, nicht mehr Gehalt?

Was sollen sie mehr zahlen, wenn es für die einzelnen Behandlungen von den Kassen nicht mehr gibt?

Wenn sie selbst auch nicht ausreichend verdienen können an Ihrer Arbeit.

Behandelt man zum Beispiel nach einer Verordnung, auf der Manuelle Therapie steht, so bekommt man ungefähr fünfzehn Euro dafür gezahlt.

Behandelt man 30 Minuten lang, dann hat der Praxisinhaber mit zwei Verordnungen in einer Stunde 30 Euro eingenommen.

Davon muss Miete, Strom, Therapeut etc bezahlt werden.

Es bleibt nicht viel übrig.

 

Physiotherapeuten haben keine gute Lobby. Die Verbände treten nicht für unsre Belange ein. Man zahlt zwar ordentlich Beiträge ein, wenn man sich einem Verband anschließt, viel mehr passiert dann allerdings nicht.

Unser politisches System ist auch nicht sehr an uns interessiert, denn wir bringen kein Geld rein, wie es zB Ärzte tun.

Sie verordnen Medikamente oder teure Therapien, MRT oder Chemo oder Operationen, die dem Staat gute Einnahmen bescheren.

Wenn man ein wenig genauer überlegen würde, käme man auf die Tatsache, dass auch Physios dem Staat Geld einbringen, nämlich dann, wenn der Patient eben wieder arbeiten gehen kann.

Aber das sind ja keine lukrativen Zusatzeinnahmen.

Das ist nur der Normalzustand, der wieder hergestellt wurde.

Da sind wir Therapeuten eher unlukrativ, denn wir behandeln mit unseren Händen, mit Wasser und Matsch (Fango), im Höchstfall mit etwas Strom für Elektrotherapie. Da kommt nix rein in die Kassen.

Wir spielen nichts ein.

Also werden unsere Interessen, wird unsere Tätigkeit, nicht gut unterstützt und entlohnt.

 

Man kann sich natürlich berechtigter Weise fragen, wieso man überhaupt Physiotherapeut wird, wenn die Lage so bescheiden aussieht.

Tja, stell dir vor, es gäbe keine….

Das wäre schlimm.

Es gibt viele Länder und Regionen, in denen es keine Physiotherapie gibt.

Dort laufen die Menschen dann eben mit ihren Verletzungen und Schmerzen herum und müssen sie ertragen.

Wer im Ausland lebt und viel Geld hat, reist für Behandlungen zum Beispiel nach Deutschland. Die anderen Menschen ohne Geld haben Pech.

 

In den letzten Jahren wurden zum Beispiel in dem Krankenhaus, in dem ich zuletzt arbeitete, die Kriegsverletzten aus Lybien und Syrien operiert und physiotherapeutisch nachbehandelt.

Die Kosten dafür trugen die Übergangsregierungen der betroffenen Länder, es lief über die Botschaften. Es waren sozusagen Privatpatienten.

Die Kriegsverletzten blieben hier über viele Monate und bekamen tägliche Therapien, die bis zu eineinhalb Stunden dauerten.

Da war es also auch möglich.

Diese OPs und Therapien brachten unserem Staat scheinbar auch viel Geld ein.

Deshalb war es möglich.

Die Therapeuten arbeiteten zu ihrem üblichen Stundenlohn.

Wir machen unsere Arbeit mit jedem, egal warum er da ist und woher. Das versteht sich irgendwie von selbst.

Oft mussten wir Überstunden leisten, da diese „wichtigen Patienten“ unbedingt behandelt werden mussten.

Wichtig waren sie nicht aus menschlicher, sondern aus finanzieller Sicht.

Gewinner der Verletzungen waren die Krankenhäuser und Ärzte, die Provisionen einstrichen.

Ein makaberes Spiel mit dem Krieg.

Ein makaberes Spiel mit dem Helfen.

 

 

Es wird immer Menschen geben, wie ich und die anderen, die Interesse haben an der Heilung auf so vielfältige Weise.

Und da man oft auch vorher gar nicht so detailliert informiert ist, wie viel man wirklich verdient und was man noch alles extra zahlen und leisten muss, da macht man es halt.

 

In keinem anderen Beruf werden nach der Ausbildung so viele Zusatzqualifikationen gefordert, wie in der Physiotherapie.

Bzw in anderen Berufen werden sie eher finanziert, ob nun vom Staat oder vom Betrieb, wenn man sie benötigt.

Wir geben dafür teilweise sogar unseren Erholungsurlaub und die Wochenenden her, da nur 5 Tage pro Jahr für Bildungsurlaub gewährt werden, die benötigten Kurse aber weitaus mehr Zeit in Anspruch nehmen.

 

Das Problem ist natürlich auch, dass viele Therapeuten sich das so gefallen lassen und zu niedrigsten Löhnen arbeiten oder auch Weiterbildungen machen, die der Mensch nicht braucht.

Weil man heute dem Druck ausgesetzt ist, was Großes leisten zu müssen, um anerkannt zu werden und voran zu kommen.

Will man eine Praxis eröffnen, muss man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, damit man überhaupt einen Kredit von Banken erhält.

 

In machen Regionen Deutschlands ist allerdings die Auswahl der Arbeitgeber so gering, dass man gar keine Wahl hat, als bei denen zu arbeiten, die sich im Umkreis von ca 50 km befinden, und nur Mindestlohn zahlen.

Mann muss es sich gefallen lassen oder fortziehen.

Allerdings haben sicherlich diese Praxisinhaber große Schwierigkeiten, genug Patienten zu bekommen, um ihre Kosten decken zu können, so dass sie gar nicht in der Lage sind, mehr Lohn zu zahlen.

Würde es prinzipiell mehr Geld für die Behandlungen geben und mehr Verordnungen ausgestellt werden, dann könnte man auch mehr verdienen.

 

Man muss schon vollen Herzens dabei sein, um nicht zu verzweifeln.

Auch wenn man nicht unter einem Helfersyndrom leidet, lässt man all das über sich ergehen, um für andere da zu sein.

Aber mal ehrlich: es sind nicht wenige Therapeuten, die unter diesem Syndrom leiden.

Genauso wie man auch in der Altenpflege und in der häuslichen Krankenpflege diesen Menschenschlag vorfinden kann.

Es sind Menschen in den Bereichen tätig, die sozial so eingestellt sind, dass sie gerne helfen möchten.

Und dies wird ebenso gerne ausgenutzt.

 

Wieso das bei den Ärzten nicht der Fall ist, daß sie ein Helfersyndrom haben, weiß ich nicht.

Was bei ihnen eher zu dem Beruf drängt ist ein ausgezeichneter Numerus clausus und das Wissen, dass man gut verdienen kann und ein ebenso gutes Ansehen genießen wird.

Götter in Weiß.

Die guten Noten resultieren nicht immmer aus einem guten Verständnis des Gelernten.

Um einen Einser – Durchschnitt zu erlangen, reicht auch die Gabe, auswendigzulernen.

Ein NC von 1,0 sagt auch nicht zwingender Weise aus,dass man ausreichend emphatisch ist, was allerdings eine Grundvoraussetzung sein müsste, um Arzt zu werden.

Was zählt, ist Leistung.

 

Es ist ohnehin sehr merkwürdig mit dem Ansehen eines Universitätsstudiums ganz allgemein.

In der Gesellschaft haben Berufe, die man durch ein Studium erwirbt, ein höheres Ansehen als Berufe, für die man nur eine mittere Reife oder sogar einen Hauptschulabschluss benötigt.

 

Wobei ich mir da in der letzten Zeit die Frage stellte, was an einem Universitätsstudium wirklich so toll ist?

Man sitzt im Hörsaal und zieht sich unendlich viel Theorie rein.

Mehr ist das nicht.

Und am Ende muss man, wie in der Schule, alles wieder ausspucken, was einem eingetrichtert wurde.

Meine Töchter, die beide studieren, nennen es – wie viele andere auch – „Bulemie-lernen“.

Lernen ist eine überaus interessante Tätigkeit. Aber ich finde das praktische Lernen darf dabei nicht fehlen.

Und schon gar nicht das selbst Denken.

Aber genau das fehlt an Universitäten.

 

Seit einiger Zeit kann man auch Physiotherapie als Studienfach belegen.

Es ist dennoch ein praktisch gehaltener Studiengang, der einfach nur ein Semester länger dauert als die Ausbildung normalerweise geht, aber dafür gleich über 500€ pro Monat kostet.

Und man kann sich die Frage stellen, ob die Therapeuten dann noch in einer popeligen Praxis behandeln wollen, wenn sie einen Bacheler of Science in der Tasche haben, mit dem sie dann noch ein Master hinterher machen können, und in ganz anderen Bereichen tätig sein können, als im 20-Minuten-Takt die Patienten durchschleusen zu müssen.

( Für die meisten Physios ist nämlich eine zwanzig minütige Behandlung eindeutig immer noch zu kurz, es ist gefühlte Fliesbandarbeit, auch wenn es im Vergleich zur Arztbehandlung viel Zeit ist.)

 

Vielleicht werden die Physiotherapeuten der Zukunft auch besser verdienen, wenn sie einen Uniabschluss nachweisen.

Sie werden wissenschaftlicher arbeiten können, dürfen Studien betreiben, so dass der Beruf eventuell in dreißig Jahren doch mehr Respekt erlangt, als es heute der Fall ist, weil der Nutzen dann belegt sein wird, der heute schon lange ersichtlich ist.

 

In unseren Breitengraden muss eben erst alles über viele Dekaden erforscht und belegt werden, eh man etwas glaubt, eh etwas eine Berechtigung erhält und für gut befunden wird, was man aber auch glauben könnte, einfach durch die mannigfaltigen Erfahrungen, die man schon seit Jahrzehnten macht.

 

Aber vielleicht werden die neuen Physios dann nur die anderen Ärzte sein.

Das gilt es abzuwarten.

 

 

 

Krankenhaus, Praktikum

 

Ich machte in meiner Ausbildung ein Praktikum auf der Station für Innere Medizin.

Ich wurden dort bereits am ersten Tag Patienten zugeteilt, die ich allein behandeln sollte, da die Therapeutin, die mich eigentlich einarbeiten sollte, krank war.

Es handelte sich dabei um die leitende Physiotherapeutin des Krankenhauses, die mir normalerweise am ersten Tag erst einmal ganz in Ruhe alle Patienten vorgestellt hätte.

Und ganz entspannt das Haus gezeigt hätte.

Die, von der ich dann zunächst nur ein paar wenige Patienten übernommen hätte für die ersten Tage, um mich langsam einzuarbeiten.

Ich musste also all ihre Patienten von dem ersten Tag an alleine behandeln.

Super!

Ich glaube, ich bin extrem unter Druck geraten.

Ich dachte, das schaffe ich nicht, sagte es aber nicht.

Damals konnte ich noch nicht zugeben, wenn mir etwas zu viel war.

Ich dachte, ich müsste alles schaffen.

 

Es gab dort einen Mann, der auch zu meinem Patienten wurde.

Er hatte eine Leberzirrhose, lag im Bett mit hohem Fieber seit Tagen, gelbe Augäpfel, gelbe Haut.

Er lag im Sterben.

Das sagten mir die Ärzte.

Sterben. Nicht mein Lieblingsfall damals.

Zudem hatte der Mann eine nicht mehr allzu funktionstüchtige Lunge.

Er bekam dauerhaft Sauerstoff zugeführt.

Er konnte nur circa eine Viertelstunde ohne den Sauerstoff auskommen, sagte er.

Nicht mehr viele Freiräume.

Schlechte Atmung. Auch nicht mein Lieblingsfall.

Denn ich wäre als Kind selbst fast erstickt.

Er beschrieb mir sehr bald seine körperlichen Beschwreden, ein komisches Gefühl im Körper, ein Kribbeln, er zitterte und hatte Krämpfe. Und ich dachte: mein Gott, der Mann hat eine Mykose, eine Schimmelpilzvergiftung, und deshalb ist er so krank. Das kenne ich.

Das ist wie bei mir, als ich in der durch Schimmelpilzsporen verseuchten Wohnung wohnte und stark erkrankte.

Ich fragte die Ärzte, ob sie schon seinen Stuhl untersucht hätten.

Nach bakterieller Zusammensetzung und Pilzen. Aber sie wussten nicht, was das soll.

Ich habe versucht, es ihnen zu erklären, aber sie wollten davon eigentlich gar nichts wissen.

Geh mal hin und versuche, einem Arzt ewas zu erklären.

No way!

Fehlanzeige.

Sie fanden es sichtlich lächerlich.

Ach, die kleine Physio-Praktikantin macht hier einen auf schlau und will uns Ärzten sagen, was wir untersuchen sollen.

 

Ich hatte viel gelesen über Mykosen und war geschockt, was die alles in Mitleidenschaft ziehen können und wie wenig Beachtung man dem schenkt.

Viele Menschen sterben und wenn man sie obduziert, weil nicht klar ist, was die Todesursache war, findet man bei nicht wenigen eine ausgeprägte Mykose.

Damals ahnte ich nur, der Mann hatte ursprünglich etwas anderes als diese Leberzyrrhose, die nur eine Folgeerkrankung war.

 

Ich behandelte seine Füße und die Reflexzone des Darmes zeigte Schmerz, was heißen konnte, dass es dort eine Störung gab.

Ich dachte, ich hätte recht mit den Pilzen im Darm.

All das sagte ich ihm natürlich nicht, denn er hatte Angst.

Das merkte ich.

Und ich spürte diese Angst auch wieder am eigenen Leibe.

Gleiche Gefühle haben die gleiche Frequenz.

Ich gehe in Resonanz und fühle den anderen.

Seit diesem Tag, an dem ich den Patienten kennenlernte und seine Todesangst spürte, hatte ich diesen Druck auf der Lunge und konnte nicht mehr richtig durchatmen.

Damals war ich noch voll im Helfersyndrom und speziell diese Erfahrung mit dem Patienten war ausschlaggebend für meine Heilung von dieser negativen Eigenschaft.

 

Ich machte ihm Wadenwickel und das Fieber sank.

Aber leider nicht dauerhaft.

Nur für zwei Tage.

Immerhin.

Ansonsten machte ich mit ihm täglich prophylaktische Therapie, damit er keine Thrombose oder Lungenentzündung bekam. Tiefes Atmen, damit die Lungen bis in die Spitzen belüftet wurden. Und Abklopfen des Brustkorbes und des Rückens, damit sich nichts in der Lunge festsetzte. Wärme.

Ich bewegte ihn am ganzen Körper, denn er war zu schwach, sich selbst zu bewegen.

Doch der Kreislauf musste in Schwung bleiben, damit das Blut nicht zu langsam und zu dick wurde.

Dann brachte ich ihm zwei Heilsteine, die ich in stundenlanger Arbeit aus einem dicken Fachbuch speziell für ihn, für seine Beschwerden, herausgesuchthatte, sie dann kaufte und ihm übergab.

Dies war eine Handlung, dem Helefrsyndrom entsprungen, die eindeutig zu viel des Guten war.

Er nahm die Steine an sich, als würden sie gleich eine Strickleiter ausspucken, an der er sich festhalten und wieder zum Leben empor klettern könnte.

Ich dachte, ich müsse ihm das Leben retten.

Und er dachte vielleicht, ich könnte es.

 

Wenn man haltlos ist und sucht, dann hält man sich fast überall fest, was einem geboten wird.

Wenn es Hoffnung gibt.

So wie der Mann sich an meine Steine klammerte.

 

Ich konnte übrigens mit ihm noch einmal in den Krankenhausgarten gehen.

Ich habe es gewagt, ihn überredet, versprochen, dass wir in einer Viertelstunde wieder im Zimmer sein werden, damit er wieder an sein Sauerstoffgerät kann.

Es gab kein Transportables.

Ich habe ihn angezogen, eingepackt, in den Rollstuhl gesetzt, den Sauerstoff abgestöpselt und dann ab in den Garten.

Die Sonne schien an dem Tag.

Wir stellten uns einfach mitten auf einen Weg, da, wo er in Richtung Sonne gucken konnte.

Er machte seine Augen zu, tankte, und als die Zeit um war, fuhren wir wieder nach oben ins Zimmer.

Keiner sprach.

Nicht notwendig.

Es gibt außerdem Lücken in der verbalen Ausdrucksweise.

Worte können nicht beschreiben.

Schweigen triffts.

Schweigen ist wie ein Joker.

Ein Ausdruck für alles, wofür es keine Worte gibt.

 

Es war ein grausamer Schock für mich.

Von dieser friedlichen, sonnigen Szene wieder in sein Zimmer zu treten, in das dunkle, fade Grauweiß, in die kalte, sterile, tote Atmosphäre des Krankenhauses.

Es war, als wäre dies bereits die Leichenhalle.

Ich dachte, hier drinnen MUSS man ja sterben.

Ich dachte, würde sein Bett in der Sonne draußen im Garten stehen, würde er überleben.

Ich legte ihn wieder ins Bett und er steckte sich seinen Sauerstoffschlauch in die Nase.

Er dankte mir von Herzen für diesen schönen Ausflug.

Am nächsten Tag war er nicht mehr in seinem Zimmer.

Er lag im Sterbezimmer.

Ich war so glücklich, dass ich ihm das noch schenken durfte.

 

Ich ging in das Sterbezimmer und setzte mich neben ihn, nahm seine Hand.

Er war extrem unruhig. Und dieser Anblick machte mir Angst.

Damals war ich selbst noch so voller Angst, dass ich das eigentlich gar nicht verkraftet habe, neben einem Sterbenden zu sitzen, habe es aber trotzdem gemacht.

Ich habe es ausgehalten, so wie ich schon vieles ausgehalten habe.

Im Nachhinein hat es mir eine wichtige Erfahrung gegeben.

Einfach bei jemanden zu sein, wenn er nicht allein sein sollte.

Es war nur der Anfang einer Arbeit mit Sterbenden.

Aber ich weiß, damals war die Belastung für mich so enorm groß, dass ich selbst wieder unter Luftnot geraten bin.

Ich hatte nächtliche Atemnot und mein Arzt gab mir ein homöopatisches Mittel, was auf der Stelle zu Erlösung führte.

Aber nach ein paar Tagen, an denen ich mich weiterhin so überlastete, ließ das Mittel in seiner wunderbaren Wirkung nach und der Druck stieg wieder an.

Auch eine höhere Potenz des gleichen Mittels konnte nicht mehr die Wirkung entfachen, wie beim ersten Mal.

Ich hatte aber wenigstens einmal gesehen, dass die Atemnot auch wieder verschwinden konnte und ich nicht krank war. Nun aber war wohl meine eigene Heilkraft gefragt.

 

Ob der Mann starb, weiß ich nicht, denn einen weiteren Tag später wurde er in ein anderes Krankenhaus transportiert, für eine Lebertransplantation.

Seine Tochter gab ihm einen Teil ihrer Leber.

Die Ärzte schüttelten die Köpfe und erklärten die Tochter für verrückt.

Es gäbe ja sowieso keine Chance, sagten sie.

Wozu da noch eine Operation machen?

Und sich dann auch noch selbst damit schaden.

Ja, Ärzte wissen immer, wie es weitergeht.

Sie können einem ja auch sagen, wie lange man noch lebt.

Zwei Monate, ein Jahr…

Ärzte wissen das.

Sie haben die Diagnose und für sie ist alles klar.

Götter in Weiß.

Alles, was außerhalb dieser medizinischen Tatsachen stattfindet, ist für sie ein arrogantes, abfälliges Lächeln wert.

Tse, was für ein Blödsinn.

 

Ich dachte, was für eine wunderbare Tochter dieser Mann hat.

Was für eine wunderbare Familie.

Schon dies allein kann heilen.

 

Sicher wird die junge, gesunde Tochter probelmlos die Lebertransplantation verkraftet haben.

Denn die Leber ist das einzige Organ, welches nachwächst.

Sie hat sich dadurch sicher nicht selbst geschadet.

Was muss das für ein Gefühl sein, wenn man jemanden, den man liebt, etwas geben kann, damit er nicht sterben muss?

Und wenn er doch gestorben ist – so hat sie dennoch nicht untätig dabei zugesehen.

Eine Lebertransplantation muss einen nicht krank machen oder umbringen.

Selbstvorwürfe allerdings vermögen dies zu bewirken.

 

 

 

Wunder Mensch 2

 

Wunder übrigens, die siehst du in jedem Sience-Fiction-Film.

Wenn irgend so ein Zukunftstyp verletzt wird und sich die klaffende Wunde innerhalb weniger Minuten wieder schließt, damit er ungehindert weiterkämpfen kann.

Oder ihm wächst ein Finger nach, der gerade abgehackt wurde.

Hm…ja super. Sehr realistisch“, nörgeln wir dann über diesen Blödsinn, der da gezeigt wird.

Oder aber wir sehen staunend zu, denn schließlich wollen wir ja nur ein wenig unterhalten werden.

Kaum einer macht sich bewusst, dass das eigentlich gar kein Science-Fiction ist, was wir da eben gesehen haben.

Denn genau DAS kann unser Körper real vollbringen.

Wenn ich mich verletze, dann geht eine ganze Maschinerie in Gang und innerhalb weniger Minuten ist meine Wunde verschlossen.

Unter der Oberfläche geht es weiterhin ab, auch wenn man es gar nicht sieht, bis alles wieder restlos geflickt ist und dem Gewebe, wie es vorher war, stark ähnelt.

Es wird geklebt und gebaut was das Zeug hält.

In den ersten ein bis drei Minuten der Verletzung wird das Blut gestillt, indem Thrombozyten sich an die defekte Stelle setzen und einen Wirkstoff freisetzen, der verursacht, dass sich das Blutgefäß schließt.

Danach folgt in den nächsten 5-7 Minuten ein komplizierter Gerinnungsprozess, der die Wunde komplett schließt und verklebt mit einem Fasernetzwerk aus Fibrin, dem Körperkleber.

Ist das etwa kein Wunder?

Wenn ein Finger auch nicht nachwächst, wenn man ihn abgeschnitten hat, so kann man ihn aber wieder annähen im günstigen Fall.

Und es gibt etwas, was danach auch sehr wohl nachwächst: Nämlich die Nervenenden des Fingers.

Ist ein Nerv zertrennt worden, sprossen Verbindungen von einem Ende zum anderen, der Nerv verbindet sich also wieder, damit die Leitung wieder steht.

Aber nur, wenn das Körperteil auch weiterhin bewegt wird.

Wenn nicht, fühlt der Nerv sich nutzlos und sprosst nicht aus, verbindet seine Enden nicht mehr miteinander.

Logisch.

Das ist allerdings nur in den sogenannten peripheren Nerven möglich. Denen, die sich zum Beispiel in den Armen oder Beinen, Händen oder Füßen befinden.

Im Zentralen Nervensystem, wie zB im Rückenmark, ist das nicht möglich.

Deshalb ist nach solch einer Verletzung zB auch die Physiotherapie sehr wichtig. Damit die verletzten Körperteile in alle ihnen möglichen Richtungen regelmäßig passiv bewegt werden.

Das allerdings sieht man im Siece-Fiction-Film natürlich nicht.

 

Wir nehmen alles als selbstverständlich hin, weil wir ja meistens so geboren werden, mit all diesen Eigenschaften und Fähigkeiten.

Wir leiden unter sinnlichen Verklebungen, viele bemerken all die Wunder nicht mehr oder haben sie noch nie bemerkt.

 

Weißt du, wie man atmet, wenn man im Mutterleib ist?

Gar nicht.

Das Baby hat zwar eine Lunge, aber die ist schlapp.

Platt.

Leer.

Es kann sowieso nicht atmen, denn es liegt ja im Fruchtwasser.

Wir sind doch keine Fische mehr.

Wenngleich auch sämtliche Stadien der Evolution im Mutterleib innerhalb von neun Monaten durchreist werden, so auch die Bildung von Kiemen und deren anschließende Verkümmerung.

Das Ungeborene braucht auch gar nicht atmen, denn das tut die Mutter.

Alle nötigen Nährstoffe gelangen über die Nabelschnur zu dem Baby.

Über den Blutweg also, nicht über die Atmung.

 

Und weißt du auch, wann das Baby anfängt zu atmen?

Wenn es geboren ist und die Nabelschnur abgetrennt wird, dann schreit es.

Es schreit aus Leibeskräften.

Es schreit, weil es tief Luft holen muss, denn nun muss sich seine Lunge formen, sich füllen mit Sauerstoff.

Dieses schlaffe Gebilde muss nun aufgepumpt werden.

Hier fängt das Baby an zu atmen.

Weißt du wo hierbei das Wunder ist?

In jedem einzelnen Detail – richtig.

Aber noch was:

Der Mensch hat einen kleinen und einen großen Blutkreislauf.

Der Große ist der, der vom Herzen durch den ganzen Körper zieht, also in die Beine, Arme, Organe, in den Kopf ect und zurück.

Und der Kleine ist der, der vom Herzen in die Lunge geht und zurück – der Lungenkreislauf.

Das ist der für die Atmung zuständige Blutkreislauf.

Der geht so: Das verbrauchte, sauerstoffarme Blut, dass schon durch den ganzen Körper geflossen ist, geht nun in die rechte Herzhälfte und von dort aus in die Lunge, wo das alte Blut aufgefrischt wird mit neuem Sauerstoff und Kohlendioxyd wieder abgegeben wird, das wir dann über die Lunge vermehrt ausatmen. Das frische Blut geht dann von der Lunge in die linke Herzhälfte. Fertig ist der Lungenkreislauf. Von dort aus geht das Blut wieder über die Aorta durch den ganzen Körper.

 

Im Mutterleib benötigt das Baby den Lungenkreislauf vom rechten Herzen über die Lunge zum linken Herzen nicht.

Weil es nicht atmet.

Das Blut geht den direkten Weg, die Abkürzung, von der rechten in die linke Herzhälfte durch ein Loch, statt von der rechten Seite in die Lunge.

Durch ein Loch in der Herzscheidewand.

 

Wenn das Baby von der Nabelschnur getrennt wird, muss es selbst atmen.

Es beginnt mit einem Schrei.

Danach atmet es das erste Mal tief ein.

Durch den Schrei entsteht eine so enorme Druckveränderung im Körperinneren, durch die sich das Loch im Herzen mit einem Häutchen schließt, ein Häutchen, dass es schon die ganze Zeit gab und das nur auf seine Vorsehung, auf seinen großen Auftritt, wartete, so dass dieser direkte Durchfluss des Blutes von der rechten in die linke Herzhälfte nun nicht mehr funktioniert und das Blut nun den Weg durch die Lunge nehmen muss, die sich gerade mit Sauerstoff füllt.

Deshalb ist also das Erste, was ein Baby tut, ja tun muss: es schreit für die Druckveränderung.

 

Foramen ovale.

So heißt das Loch, dass sich beim ersten Schrei bei der Druckveränderung schließt.

Das Foramen ovale und das Häutchen sind mit eines der größten Wunder der Natur für mich.

Ein wahrer Esthetiker hat sich dieses Meisterwerk ausgedacht.

Wenn du dich mal ein klein wenig mit dir, dem Menschen, beschäftigst, wie fein du funktionierst, wirst du aus dem Staunen nicht mehr rauskommen.

Alles in dir ist bis ins kleinste Detail aufeinander abgestimmt.

Du kannst dir viele Schäden zufügen, dein Körper hat immer eine Idee, wie er dich retten kann.

Das Gleiche gilt für die Seele.

Deine Psyche.

Es gibt für alles einen Plan A und B und eine Reserve.

Nichts ist dem Zufall überlassen.

Kann es Zufall sein, dass so ein diffiziles und exakt geeichtes, aufeinander abgestimmtes Meisterwerk entsteht?

 

Nur, wenn du es zu weit treibst, wirst du krank oder stirbst.

Wenn du dich schädlich verhältst. Wenn du schlechtes Essen zu dir nimmst, wenn du negative Emotionen lebst, wenn du dich nicht lebst und wenn du nicht liebst, wenn du dich gar nicht oder zu viel bewegst oder vergiftest.

 

Das, was es im Menschen im Kleinen gibt, so fein aufeinander abgestimmt, gibt es auch im Großen: Unser Universum.

Diese sich gegenseitig haltenden und stabilisierenden Kräfte und Gegenkräfte, ohne die unser Leben in dieser Form, unter unseren Bedingungen auf der Erde, gar nicht möglich wäre.

Wir Menschen sind ein kleines Universum in einem großen Universum.

Eine Zelle ist ein Stern.

Ein Zellhaufen ( ein Organ ) ist eine Galaxie.

 

 

 

In einer ambulanten Praxis

 

Frau E., mitte Fünfzig, die 2010 in der Praxis in meine Behandlung kam, hatte ständig Schmerzen.

Im Schulter – Nacken Bereich.

Seit Jahren ging das schon so.

Es war manchmal für kurze Zeit besser, aber letztendlich kam der Schmerz dann doch immer wieder.

Jahrelang war sie schon in der Praxis auch beim regelmäßigen Gerätetraining.

Aber das hat leider auch nichts geholfen.

Nun stand sie bei mir im Terminplan, und ich sollte sie behandeln.

Am ersten Tag löste ich ihr einen Teil der Verspannungen mit einer ganz gewöhnlichen Massage der verhärteten und verspannten Muskulatur.

Frau E. tat es dann ihren Muskeln gleich, lockerte auch auf und redete.

Und da sie nicht schweigend entspannen, sondern sprechen wollte, fragte ich sie Verschiedenes, was sie mir auch gerne beantwortete.

Es stellte sich heraus, dass sie bald in den Urlaub fahren würde.

Nach Mittelamerika.

Dorthin, wo sie geboren ist.

Ach, das wird schön. Denn da geht es mir immer besser.

Da sind die Schmerzen immer wie weggeblasen. Komisch, oder?”

Komisch? – Fand ich nicht.

Ich fragte sie, ob sie damals nach Deutschland kommen wollte, oder ob sie es musste.

Naja, sie war jung, antwortete sie mir.

Sie ist freiwillig aus ihrer Heimat weggegangen mit einem deutschen Mann.

Aber vielleicht würde sie es heute nicht mehr tun.

Es ist schön hier, aber zu Hause ist es besser.

Und die Arbeit…

Der Mann verkauft Antiquitäten auf dem Flohmarkt.

Sie muss mitmachen.

Immer früh raus, immer schleppen.

Harte Arbeit.

Naja, was soll man machen….”

Das waren schon genug Informationen, um sie besser behandeln zu können.

Ohne Zweifel machte ihr auch die schwere körperliche Arbeit zu schaffen, aber da gab es eventuell noch einen anderen Grund für ihre chronischen Schmerzzustände.

 

Beim nächsten Termin untersuchte ich ihre Füße.

Ich informierte sie vorher über meine Vorgehensweise, damit sie sich nicht darüber wunderte.

Schließlich wurde sie immer am Nacken behandelt all die Jahre, denn dort hatte sie ja den Schmerz.

Ich sagte, ich wolle mal sehen, ob die Füße gut auf dem Boden stehen.

Ich hatte eine Vermutung, die aus ihrer Geschichte herauszuhören war.

Ach, meine Füße. Ja. das ist gut, dass sie sich die mal angucken.

Damit hab ich schon seit Kindheit an Probleme”, berichtete sie mir nun.

Ich ließ sie auf dem Boden barfuß stehen und schaute mir ihre Statik an.

Sie stand auf den Außenkanten der Füße, hatte gar keinen richtigen Bodenkontakt mit den Fußsohlen.

Das war als Kind auch schon so.”

Ich behandelte von nun an ausschließlich ihre Füße.

Der Plan war, die Fußmuskeln zu stärken, die den Halt übernehmen sollten.

Ich massierte diejenigen Fußmuskeln, die permanent die Füße in die Position brachten, auf der Außenkante zu stehen.

In der Hoffnung, dass sie wieder komplett den Boden berühren würden und ihre Wurzeln wachsen könnten.

Frau E. war entwurzelt und heimatlos.

Dies war bei ihr ganz sicher ausschlaggebend und die Hauptproblematik, die zu behandeln war.

Nicht Fuß fassen können, keinen Halt haben.

Es ging ihr scheinbar schon als Kind so, und vermutlich ist sie auch nur deshalb aus der Heimat fortgegangen.

Die Fußbehandlungen taten ihr sehr gut.

Nach ihrem Urlaub kam sie erneut zur Behandlung, damit wir weiter an ihrer Fußstatik arbeiten konnten, die sich aber im Urlaub in ihrem Heimatland auch schon von allein deutlich gebessert hatte.

Ich hatte ihr einige ganz spezielle Fußübungen gezeigt und mitgegeben, die sie in den Wochen ihrere Abwesenheit auch tatsächlich regelmäßig machte.

 

Aber was haben meine Füße mit den Nackenschmerzen zu tun?“ wollte sie nun wissen.

Sie beaobachtete zwar deutlich die Verbesserung, aber sie verstand noch nicht, warum das so war.

Dass sie ein Problem mit ihrer Fußstellung hatte, das wusste sie ja. Aber den Zusammenhang zum Schulter-Nacken-Bereich konnte sie sich nicht erklären.

Drum erklärte ich es ihr:

Es ist wie mit einem Haus. Wenn das Fundament schief ist oder instabil, dann kann das Dachgeschoß auch nicht halten. die Füße sind das Fundament deines Körperhauses. Sie müssen alles tragen und haben eine wirklich ausgeklügelte Statik mit den zwei Gewölben: Quergewölbe und Längsgewölbe.

Sie stehen nicht platt auf dem Boden. Wenn das in einigen Fällen doch so ist, dann brauchen auch die Fußmuskeln mehr Training, damit sich die Gewölbe wieder aufbauen können.

Stell dir ein altes Kellergewölbe vor, in dem auch diese Rundbögen aus Stein gebaut sind.

So sehen die Fußgewölbe aus kleinen Knochen auch aus.

Die Rundbögen sind es, die der ganzen darauf liegenden Konstruktion Halt geben. Nimmt man einen Stein raus, fällt das Gewölbe in sich zusammen und auch das Haus darüber ist einsturzgefährdet.

Dieser Rundbogen verteilt die darauf lastenden Kräfte des Gebäudes gleichmäßig in vertikale und horizontale Richtung. Im Falle unserer Füße heißt das, dass die Last des gesamten Körpers auf Grund der beiden Fußgewölbe gleichmäßig auf den ganzen Fuß verteilt wird, der nur deshalb zum Tragen unseres Körpers fähig ist.

 

Allerdings sitzen in den Fußmuskeln auch unheimlich viele Rezeptoren, Melder, die die Statik, die Muskelstellung und Muskelspannung ermitteln, und diese Informationen in extrem hoher Geschwindigkeit immerzu an das Gehirn weiter geben.

Vom Gehirn aus werden diese Daten weitergeleitet in alle anderen Körperregionen und Muskeln, die sich dann entweder anpassen oder auch zum Beispiel Spannung ausgleichen müssen.

In den oberen Sprunggelenken sitzen wichtige Melder auch für die Gleichgewichtslage, was an das Kleinhirn weiter geleitet wird.

Das Kleinhirn ist ganz eng mit der Motorik der Muskulatur verknüpft.

Wenn also die Füße eine falsche Stellung haben und die Muskeln entweder gedehnt oder verkürzt sind, und somit auch nie ein gutes Gleichgewicht erzielt werden kann, so wird diese Fehlstatik oder auch eine Instabilität an das Gehirn gesendet, und irgendwo im Körper muss dann natürlich ein Ausgleich für diesen „Schaden“ erfolgen.

Im Fall von Frau E. passierte das im Schulter Nacken Bereich. Das „Dachgeschoss“ musste stabilisiert werden. Der Körper löste dieses Problem durch Erhöhung der Muskelspannung dort. Es landete bei ihr auch deshalb in dem Bereich, weil es bei ihr ohnehin eine sehr belastete Zone war, durch die schwere Arbeit.

Nicht nur körperliche Belastungen, viel Gewicht tragen zu müssen, landen oft auf den Schultern, sondern auch viel Verantwortung und belastende Emotionen trägt man dort.

Jeder hat sein Päckchen zu tragen, sagt man so.

Und sämtliche Redewendungen haben ihre Berechtigung und beinhalten Wahrheit.

Jedenfalls muss man wissen, dass unten bei den Füßen die Basis ist, und wenn dort etwas nicht stimmt, dann bekommt das Gehirn es sofort spitz und der Körper schafft an einem anderen Ort Abhilfe, was aber oft zu Verspannungen und Schmerzen führt.

Drum muss man an der physischen Ursache arbeiten, an den Füßen, und nicht im Gebiet, das die Symptome zeigt.

Und außerdem eben noch an der thematischen Ursache, dem „Wurzeln schlagen“, dem sich Zuhause fühlen – das ist das Wichtigste.“

 

 

Vielleicht müsste Frau E. ganz zurück gehen in ihre Heimat, da sie nun dort einen besseren Halt gefunden hat, als in ihrer Kindheit.

So wie sich ihre Aussagen nach ihrer Rückkehr anhörten, fasste sie diesen Schritt auch schon ins Auge.

Es wäre ein äußerst stabiler Schritt in ihrem Leben.

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