Sven Billwitz / Phantasmagorie / Leseprobe

Kurzbeschreibung: Phantasmagorie

 

Die Welt befindet sich in einer künstlichen Stagnation. Die Sucht nach virtueller Freiheit und Ablenkung ist allgegenwärtig. Man taucht in das Konstrukt ein, um sich seinen absurdesten Fantasien hinzugeben. Die Realität scheint wenig reizvoll, da die schier grenzenlose Welt der Daten doch so viel mehr zu bieten hat.

Beherrscht von der virtuellen Ablenkung, die von Wirtschaftsimperien über die Menschheit gegossen werden, verliert sich die Aufmerksamkeit für den wirklichen Plan dahinter. Es ist das globale Projekt Phantasmagorie, geschaffen von einer losen Gesellschaft, die sich lapidar als Bruderschaft bezeichnet. Der Plan selbst ist simpel: Lass die Menschheit einschlafen und verändere die Welt! Verändere die Menschheit selbst im Schlaf und lass sie geläutert auferstehen, um einen verbesserten Neuanfang zu wagen.

Hervorgegangen aus der intellektuellen Elite, welche selbst die globale Ökonomie unterwanderte und somit uneingeschränkt an den Hebeln der Macht sitzt, wirken die Gruppen von Wissenschaftlern im Hintergrund. Man löst die Probleme der Ernährung und andere existentielle Schwierigkeiten. Man lässt die ewigen Konflikte mit einschlafen, in der Hoffnung sie in der virtuellen Scheinwelt durch Manipulation lösen zu können. Selbst die Umwelt scheint sich nach und nach zu erholen …

Doch der Zerfall setzt sowohl in den eigenen Reihen ein, als auch von gänzlich unerwarteter Seite, die sich menschlichen Machtverhältnissen entzieht. Die Welt selbst scheint sich wehren zu wollen.

Kleinere Gruppen formieren sich und streben nach Unabhängigkeit von der über alles schwebenden Bruderschaft, animiert durch die ungewöhnlichen Vorkommnisse, die sich weltweit immer häufiger ereignen. In der Ratlosigkeit sehen manche eine Chance oder die Notwendigkeit, die Macht an sich zu reißen.

Noch findet alles hinter den Kulissen statt, doch die Wirkung nach außen ist nur eine Frage der Zeit. Aus hintergründigen Verstrickungen wird ganz langsam ein offensichtlicher Schlagabtausch um die Herrschaft über verschiedene Territorien.

Der blaue Nebel ist das auffälligste Phänomen, welches in immer größeren Ausmaß über alles hereinbricht. Er bringt andere Dinge mit sich, die nicht weniger seltsam anmuten. Landstriche, die es nicht geben dürfte entstehen und verschwinden wieder. Mutationen tauchen in immer stärkeren Maße auf, gleichzeitig mit Menschen, die über kaum definierbare Gaben verfügen. Störungen im virtuellen Konstrukt, Katastrophen von noch geringem Ausmaß, Strahlungsphänomene …

Es riecht nach Weltuntergang!

In diesem mysteriösem Desaster führen verschiedene Lebenswege zusammen: ein Firmenerbe, dessen Gewissen sich mit dem Tod seines ungeliebten Vaters belastet; verschiedene Personen der Bruderschaft, die versuchen Herr über die momentane Lage zu werden; ein Verirrter, welcher Zuflucht bei einer Gruppe Straßenkinder findet; eine Kinderbande von rebellischen Hackern; ein Polizist, der mit seinen altmodischen Ansichten einen Brandfall untersucht; ein mysteriöser Mann, mit Visionen seiner Ahnen …

Nach und nach führen viele der Lebenswege, geleitet von einer speziellen Gruppe der Bruderschaft, in die Uckermark, wo eines der unabhängigen Projekte entstehen soll, welches die Hoffnung auf Überleben in der Zukunft in sich birgt, basierend auf der Theorie der berechenbaren Zukunft.

 

 

Leseprobe

 

 

1. Kapitel

Flucht eines Informanten

 

Manchmal sprechen die Vergangenen zu uns.

Bilder verblichener Zeiten tauchen auf, ohne zu uns zu gehören.

Alles was man sagen kann, ist wie eine Nähe zu Etwas in uns.

Mag sein, dass es manchmal die Gene vergangener Ahnen berührt, die uns etwas Vergangenes eröffnen.

Doch die Wahrscheinlichkeit aller Überlegungen ist gering.

 

Zekir Zandro, Traummeister von Therseu

 

Die Mauern der Gebirgsenklave strahlten selbst durch den dichten Nebel hindurch in alle Richtungen des Tal. Wie rein weiße Monumente aus ungeklärten Zeitaltern erfüllten sie das Zentrum innerhalb der schemenhaft verschleierten Gipfel und überragten selbst die turmhohen Zedernbäume, die das Areal umringten.

Nur wenig Bewegung war auf den Pfaden aus fein gemahlenen, ockerfarbenen Splitt, die an vielen Stellen von hölzernen Stegen unterbrochen waren, welche steile Spalten im Grund überspannten. Alles schien in ästhetischer Präzision von Meisterhand erschaffen. Überall zierten Ornamente, Reliefs und Fresken der filigransten Art die Mauern, Säulen und Pfosten.

Alles schien einem edlen Traum zu entstammen, der auf einer Suche nach einem besonderen Ort das Unterbewusstsein durchpflügte. Selbst die Formen der Berge schienen alles andere als zufällig angeordnet zu sein und bildeten eine Atmosphäre der absoluten Abgeschiedenheit und des Schutzes. Nur wenige Fantasten würden einen solchen Ort erfinden können, der einem auf Anhieb den Atem verschlug, ohne einen wirklichen Grund dafür zu erahnen.

Therseu war ein Ort des Friedens und der innigen Gedanken der Gelehrsamkeit. Hier gab es weder Herrscher noch Gebieter. Als Herr wurde akzeptiert, wer ein Meister der reinen Gedanken war und dies auch grundsätzlich auf der Basis der Freiwilligkeit. Es war ein Zufluchtsort, ein autonomer Platz, der unter den herrschenden Augen nur sehr unwillig geduldet wurde. Alles in allem ein sehr brüchiger Frieden. Und doch gab es hier eine Art Heiligen, der von vielen wie ein Übervater verehrt wurde, auch wenn er es selbst mit einer lächelnden Geste abtat. Es war mehr als irgendeine doktrinäre Religiosität, die hier regierte. Und kein Gott oder Prophet würde dies je ändern, solange Therseu existierte.

Eine Frage blieb jedoch immer über allem schweben: War hinter der Fassade doch eine Absicht, welche die Dinge hier lenkte? Doch Misstrauen fiel an solch einem Ort schwer, da er alle stimulierten Sinne vereinnahmte.

 

Die Stille wurde jäh unterbrochen durch drei Gestalten, die auf einem Pfad mit unsichtbaren Ursprung in das Tal stolperten. Zwei von ihnen trugen die typisch weißen Roben Therseus und hielten einen erschöpften Mann im Nadelstreifenanzug in ihrer Mitte. Zielstrebig wählten sie Pfade und Stege, um schnellstmöglich in das Zentrum des Ortes vorzudringen. Willenlos stolperte der Dritte mit, nur sein gehetzter Blick verfolgte andere Richtungen.

In den Gedanken des halb Ohnmächtigen bäumten sich noch letzte Bilder seines Weges auf. Selbst in dieser Situation erschien ihm sein Aufzug in dieser surrealen Welt fast lächerlich. Er rannte, ausstaffiert wie ein kleiner Geschäftsmann durch die wilden Gründe, in denen Barbaren brüllten und sich Aliens mit abenteuerlichen Waffen bekriegten, Horrorwesen, wechselten mit Feen und mittelalterlichen Bauern. Doch all diese Gestalten ignorierten ihn. Er suchte auch nicht nach Augen, die auf ihn gerichtet waren, immer in Angst, sie auch zu finden.

Vielleicht war die ganze Hetze auch nur ein Produkt einer Panikattacke. Doch das änderte nichts mehr, nach solchen Erkenntnissen zu suchen. Er war am Ziel! Therseu versprach vielleicht Hilfe oder er war verloren. Dieses Bewusstsein war Ausdruck dessen, was sich in seinem Hirn wie eine Möbiusschleife immer wieder abspielte …

 

… Noch bevor das seltsame Trio das säulenverzierte Tor des Hauptkomplexes erreichte, traten zwei weitere Gestalten in Roben aus dem Gebäude und hielten die Ankömmlinge auf. Trotz unterschiedlichen Aussehens bewegten sich diese Beiden merkwürdig harmonisch, als wären sie auf eine Art und Weise verbunden, die nach außen hin nicht nachzuvollziehen war.

„Tristan und Shabaut! Wen bringt ihr uns denn da?“

„Es ist einer unserer Informanten aus der Stadt Plexis.“

„Ist er so wichtig, dass ihr eure Posten verlassen musstet?“

Doch bevor einer der Beiden antworten konnte, wandte sich der Fragende dem Mann im Anzug zu und musterte ihn eingehend. Die Erschöpfung, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, war wohl auch der Grund, warum er davon abließ, ihn selbst mit Fragen zu traktieren. Also wand er sich wieder den anderen Robenträgern zu, aber nur mit Blicken, nicht mit Worten.

„Er sagte, dass er dringende Nachrichten für Meister Zandro hat. Wir haben ihn schon eingehend überprüft. Seine Signatur ist legitim und authentisch.“

Scheinbar fürs Erste zufrieden gestellt, nickte der Wortführer aus dem Gebäude und griff fast gleichzeitig mit dem Anderen nach den Armen des Informanten.

„Ich hoffe, die Informationen sind ihre Anstrengungen wert, Herr …“ Er schaute auf ein uhrähnliches Gerät an seinem Handgelenk, wo offensichtlich irgendwelche Daten erschienen. „…, Herr Norm.“

 

… Wie jeder Service-Programmierer arbeite Peter Norm direkt im Konstrukt. In der realen Welt gab es nur ein kleines Büro mit einer Konsole. Doch im virtuellen Netz konnte man mit weniger Aufwand eine größere Bandbreite von Daten abdecken.

Meist bestand die Arbeit im Überwachen von Systemen und Subroutinen. Selten bekam man einen direkten Auftrag für die Wartung oder die Neukonfiguration eines unbedeutenden Sektor im gigantischen Reich der Firma.

Teils aus Frustration, teils aus Langeweile ließ sich der alternde Programmierer auf eine Verbindung mit der autonomen Netzenklave Therseu ein. Er hatte kaum Informationen über das, was von diesem autarken Teil des Konstruktes mit diesen Daten angestellt wurde. Aber es war ihm eigentlich auch egal.

Die Firma war lange Zeit sein Leben gewesen. Doch mit Anton Reimig an der Spitze ging sie und ihre visionäre Intention immer weiter den Bach runter.

Die Daten, welche er sammelte, waren sowieso kaum mehr als unbedeutender Kleinkram. Bis zu diesem Tag …

 

Mit einer schwachen Geste seines Kopfes versuchte der Mann im Anzug dies zu bestätigen und übergab sich bar jeglicher Skepsis seinen neuen Begleitern, die ihn ohne Verzögerung auf die filigran verzierten Torflügel zuführten, welche noch immer offen standen. Sie schlossen sich erst nach ihrem Eintreten.

Immer noch ließen den Ankömmling die erst kürzlich vergangenen Bilder nicht los. Ein kleiner Marktflecken am Rande des Herrschaftsgebietes … ein Gasthaus … seine beiden Begleiter … ein langer Gang … Licht am Ende des Tunnels, aber nichts ließ sich in den erschöpften Gedanken zu einem vollständigen Fluss verarbeiten.

Nach nur wenigen Metern hielten sie inne und der bisher Stille der Beiden wandte sich dem Besucher zu: „Warten sie kurz. In diesem Zustand hat es wohl wenig Sinn, sie zu Meister Zandro zu führen.“

Sanft legte er seine Fingerspitzen an die Stirn von Peter Norm, dem Informanten und schloss die Augen, um sie nur wenige Augenblicke später wieder zu öffnen.

„Ich denke, jetzt müsste es besser gehen.“

Fast wie auf Kommando straffte sich die erschöpfte Gestalt und Leben kehrte in die schlaffen Züge des Behandelten. Die Geste hatte nicht gerade etwas Spektakuläres an sich und doch erschien die Wirkung fast magisch. Der Blick des Mannes in Nadelstreifenanzug wechselte von Erstaunen in jähe Dankbarkeit.

„Es wird eine Weile anhalten. Wie lange bist du schon hier im Konstrukt?“

„Etwa zehneinhalb Stunden.“, kam die Antwort in einer Weise, die neu gewonnene Kraft verkündete.

Mit wiederhergestellter Selbständigkeit folgte Peter Norm jetzt den zwei Robenträgern, die sich gleich darauf wieder in Bewegung setzten.

„Wir sind übrigens Urs und Zelta. Du solltest nach deinem Gespräch unbedingt das Konstrukt verlassen, um Nahrung aufzunehmen und Ruhe zu finden. Ansonsten könnte ich keine Garantie dafür übernehmen, dass du die Sache ohne zumindest kleine Schäden überstehst.“

Ohne weitere Worte gingen die Beiden voran, während Peter Norm sein erfrischtes Bewusstsein dazu verwendete, sich die Beiden und seine Umgebung anzusehen. Warum sahen diese Jünger von Therseu so gleich aus? Vielleicht glichen sich auch gerade diese Beiden besonders. Vielleicht waren sie ja sogar im richtigen Leben Zwillinge.

Er hatte von anderen Zufluchtsstätten Autonomer gehört, in denen alles nach absoluter Individualität schrie. Auch die Umgebung hier (sowohl die vage wahrgenommenen Bilder aus dem Tal, als auch das Innere dieses gigantischen Gebäudes) schien nicht auf die ihm beschriebene anarchistische Kreativität hinzuweisen, von der ihm andere erzählt hatten. Auch wenn die Bilder hier durchaus beeindruckend waren, so wirkten doch alle Formen streng geplant und von einer sehr geordneten Form. ‚Doch gehört nicht das Zusammenfinden von Gleichgesinntheit auch zum Ausdruck von totaler Unabhängigkeit?’, ging es Peter Norm wie ein fremder Gedanke durch den Kopf. Er lächelte über seinen philosophisch angehauchten Gedankengang, der ihm so kurz nach dem Zustand tiefer Erschöpfung geradewegs durch den Kopf schoss.

Fasziniert registrierte er das Kreuzgewölbe hoch über seinem Kopf und die tribal-ähnlichen Fresken, die ein wenig an die plastischen Entwürfe alter Tätowierer erinnerten. Die Säulen, welche zusammen mit großen Türen und schmalen Fenstern in regelmäßigen Abständen die langgestreckten Wände des sich leicht krümmenden Ganges säumten, sahen dagegen aus, als wären sie den altnordischen Trinkhallen entlehnt. Wie gern hätte er noch mal an etwas Derartigen mitgearbeitet, obwohl er sich nicht sicher war, ob er in seiner langen Laufbahn als Programmierer tatsächlich jemals mit so einer Komplexität zu tun hatte.

„Es ist ein ziemlich langer Gang.“, bemerkte er, ohne sich wirklich der lauten Aussprache seines Gedankens bewusst zu sein. Peter Norm wusste nicht so recht, ob es die Angst vor erneuter Erschöpfung oder den beeindruckenden Ausmaßen geschuldet war.

„Das ist so `ne Art Demutsgeschichte.“, antwortete einer der beiden Begleiter fast beiläufig.

Meter um Meter zog sich der steinerne Schlauch hin und Peter Norm begann sich langsam tatsächlich, um seine neu gewonnene Kraft zu sorgen. Egal wie gigantisch dieser Gebäudekomplex auch von außen wirkte, nie und nimmer konnte hier ein Gang so lang sein, ohne das andere Ende zu berühren.

Die anhaltende Eintönigkeit begann Wirkung zu zeigen. Es war nicht die Erschöpfung, sondern die Erinnerung, welche über Peter Norm hereinbrach.

 

…Es war eine Spur, welche Peter entdeckte. Sie ergab sich, als sein Interesse auf die merkwürdigen Dinge und Nachrichten fiel. Bis dahin hatte der Programmierer diese ganze Angelegenheit für Unfug gehalten. Doch genau dieser Unfug schien sich immer häufiger durch die Kanäle der virtuellen Nachrichtenwelt zu fressen.

Merkwürdige Unfälle in der realen Welt oder im Zusammenhang mit dem Konstrukt wurden in sensationslechzenden Worten beschrieben. Berichte über seltsame Fähigkeiten, die sich nach Wahnvorstellungen oder Realitätsverschiebungen anhörten, machten die Runde. Und da war noch anderes konfuses Zeug, welches sich fast noch schräger anhörte.

Peter wusste eigentlich nicht wirklich, was er suchte. Doch er fand etwas. Detaillierte Fakten zu diesen horrenden Geschehnissen führten zu einem Server, der sich bei einer Einrichtung befand, welche privaten Kunden absolute Datensicherheit und Wahrung der Privatsphäre anbot. In diesem Fall war es ein Vertragspartner von Global-Visions, dem Arbeitgeber von Peter höchst persönlich.

Der alternde Programmierer war bei seinem Ehrgeiz gepackt. Ohne nachzudenken, begann er sich immer tiefer in das System einzuhacken. Seine besten Zeiten mochten schon lange vergangen sein, doch er hatte sich in all diesen Jahren immer vorbehalten, auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Hartnäckig schlängelte er sich durch verschiedene Sicherheitsbarrieren und -protokolle. Jeder Erfolg trieb ihn noch mehr an. Und dann hatte er die Identität des Inhabers dieses hoch geschützten Servers: Anton Reimig.

Doch bevor Peter auch nur einen nächsten Gedanken fassen konnte, löste sich ein umfassender Alarm im System aus und kappte seine Schnittstelle.

Nur wenige Augenblicke später war Peter auf der Flucht. Er konnte nicht einfach das System verlassen oder in einen anderen Teil des Netzes switchen. Jede auffällige und übereilte Bewegung war jetzt verräterisch. Und so kämpfte er sich virtuellen Kilometer um virtuellen Kilometer durch die Illusion einer Welt aus Daten und Vektoren. (Es war die Notfallprozedur, die man ihm bei seinem Arrangement erklärt hatte.)

Das Ziel war ein Treffpunkt, der für solche Situationen gedacht war. Es war die Eintrittskarte für Therseu …

 

Doch schließlich gelangten sie dann doch an einen Punkt, wo man diese seltsame Idee von Architektur verlassen konnte und zwar über eine ausladend geschwungene Treppe, die zum Glück erträgliche Ausmaße hatte. Nichtsdestotrotz hätte sie jedem Foyer eines großen Theaters Ehre gemacht.

Von dort aus kam man zu einer weiteren Flügeltür, die wenn auch genauso aufwendig verziert wie das Eingangstor, dennoch nicht die selben ausufernden Größenverhältnisse aufwies. Sie öffnete sich wie von Geisterhand und gab den Weg in einen riesigen Saal frei.

Und hier war sie endlich, die anarchistische Komponente des Ganzen. Offene Feuerstellen über denen Spieße mit Braten brutzelten oder kräftige Suppen in Kesseln gegart wurden. Überall waren Leute. Kinder rannten durch die Gruppen von Erwachsenen, die sich stehend unterhielten oder sitzend auf Teppichen, Matten, Kissen und Stühlen irgendeiner Beschäftigung nachgingen, Alte saßen auf Bänken und genossen die Geselligkeit, während sich andere auf Diwanen, Matratzen oder in Hängematten lümmelten. Nur die weißen, robenartigen Gewänder waren die übereinstimmende Komponente. Fast hätte er darüber gelacht wie ein Kind, auch wenn es bei einem Mann seines Alters aus ihm einen Narren machen würde. Wahrscheinlich wäre dieser emotionaler Ausbruch an diesem Ort keinem aufgefallen, außer vielleicht seinen beiden Begleitern.

Niemand hier achtete auf die Ankömmlinge, Peter Norm fühlte sich irgendwie unwohl, als ihm aufging, dass er mit einen dunklen Anzug bekleidet war. Um so mehr überraschte es ihn, dass keiner hier darauf aufmerksam wurde. Wie gern hätte er sich doch eine weiße Robe angezogen und hätte in diesem wohligen Chaos verweilt. Doch seine Begleiter gingen unerbittlich weiter, scheinbar auch nicht bereit Erklärungen abzugeben oder Fragen zu beantworten. Der Informant tröstete sich damit, dass es seine bald wieder einsetzende Erschöpfung war, die sie vorwärts trieb. In diesen Beziehungen war das Konstrukt etwas Unerbittliches.

Fast berauscht von den Eindrücken erreichte Peter Norm mit Urs und Zelta eine klein wirkende Tür aus grob behauenen Holz mit stumpf metallenen Nieten, hinter der sich eine enge Wendeltreppe verbarg, die sich in den Himmel zu schrauben schien. Und trotz der vielen Stufen war diesmal das Ende unglaublich schnell erreicht und führte die kleine Gruppe in einen exotisch anmutenden Garten. (Juhu Anarchie!!!)

Nirgendwo gab es hier Wände oder andere Gebäude zu sehen. Seltsame Bäume mit vielfarbigen Blüten und Früchten standen kreuz und quer überall neben dem schmalen Pfad. Stauden mit fleischigen Blättern, Ranken und Dornen bedeckten den Rest des Bodens. Feuchtigkeit lag in der Luft und drückte Duft aus Moder und Süße in die Nasen. Kleine bunte Vögel und schillernde Käfer surrten zwischen den Pflanzengewirr umher.

Selbst Urs und Zelta sahen sich neugierig um. Schließlich sagte einer von beiden (Peter Norm wusste immer noch nicht so recht, wer von beiden wer war) gedankenverloren: „Vor etwa einer Stunde war das hier noch eine Gerölllandschaft mit ein paar Felsbrocken und verdammt hässlichen Eidechsen.“

„Es waren Warane, keine hässlichen Eidechsen. Der Unterschied ist mir durchaus wichtig.“

Die Stimme tauchte wie aus dem Nichts hinter ihnen auf und schien sich im selben Augenblick zu einem kleinen Mann mit Kahlkopf und langen weißen Rauschebart zu manifestieren. Ein überlegenes Lächeln strahlte Peter Norm aus dem kauzigen Gesicht entgegen, während das schon bekannte strahlende weiße Gewand die Situation komplettierte.

Urs und Zelta verbeugten sich gleichzeitig mit einem breiten Grinsen, um sich dann langsam zum Ausgang zurückzuziehen. Als der Informant noch einmal hinsah, war nur ein einziger Mann auf dem Pfad zurück zu sehen.

„Nicht wundern.“, sagte der Alte. „Er erscheint gern doppelt. Irgendwie glaubt er in der Spaltung irgendwas über sich herausfinden zu können.“

Ein heißeres Kichern folgte der wenig erhellenden Erklärung. Dann winkte der Alte mit einer laschen Geste, um zu zeigen, dass sein Besucher ihm folgen sollte. Peter Norm versuchte abzuschätzen, wer von ihnen beiden älter sein mochte. Fast hätte er laut aufgelacht. Wer konnte schon sagen, wie die wirkliche Person hinter dieser Gestalt war. Dieser Meister Zandro vermochte in Wahrheit jedes Alter zu haben, dass ihm gefiel. Manchmal hatte er sich schon gefragt, ob er hier in dieser Welt der Einzige war, der keinen Wert darauf legte, sich in veränderter Form zu präsentieren.

Im Gehen fragte er schließlich: „Und wie gefällt dir unser kleines Refugium?“

„Ähm … Es hat einiges Überraschendes auf Lager. Ich hatte andere Vorstellungen …“

„Ist etwas anderes, als die strikt durch geregelte Realität des restlichen Konstruktes, nicht wahr? Naja, Drachen, Raumschiffe, Monster, Zombies und so weiter, aber nicht all zu viel wirklich Eigenes. Kreatives Chaos lässt sich offenbar nur begrenzt wirtschaftlich vermarkten und kaum für Kontrollzwecke einsetzen. Aber was erzähle ich … ist sicherlich nichts Neues für dich, oder?“

„Aber was ist mit den weißen Roben?“

„Oh, diese kleine Konformität. Ich hätte mir denken können, dass du so was fragen würdest.“

Er gab keine weitere Antwort darauf und schaute innehaltend seinen Besucher in die Augen. Als würde die Antwort in der Luft liegen, trat sie Peter spontan in die Gedanken: Die Robe war ein Symbol. Es bedeutete nicht Gleichheit, sondern wahre Individualität, welche sich nicht wirklich durch eine Fassade ausdrücken ließ. Es hieß hier an diesem Ort, dass es einen Gedanken gab, der alle in einer Zugehörigkeit vereinte.

Als würde der Bärtige diesen Geistesblitz in Peters Gedanken lesen können, nickte er lächelnd, um dann ohne ein weiteres Wort zu verlieren, den Weg fortzusetzen.

Nach einem kurzem Stück des Pfades tat sich eine Lichtung auf, deren Mittelpunkt ein winziges Felsplateau war, dass halbmondförmig von einem See umgeben war. Ein dünner Wasserfall speiste diesen mit einem beständigen Rauschen.

„Was sagst du dazu? Ich weiß, nicht besonders einfallsreich, aber trotzdem immer wieder schön.“

„Ich finde es durchaus angenehm.“

„Schön, dass ich deinen Geschmack getroffen habe.“, erwiderte der Alte mit der Hand abgeschirmten Mund, als müsste er geheimnisbewahrend flüstern. Danach schaute er sich um, als ob er sein Werk noch einmal begutachten müsste.

Peter Norm wurde sich plötzlich des Grundes bewusst, warum er hierher gekommen war und sagte: „Sind sie Meister Zandro?“

„Sicher. Hast du jemanden anderen erwartet?“

„Ich habe Informationen für sie, die ich ihnen persönlich bringen wollte.“

„Ich hoffe, dass das Risiko, welches du damit eingehst, den ganzen Weg hierher rechtfertigt und dir bewusst ist.“

Der Informant schwieg betreten. Er hatte es zwar erwartet, dass man ihn darauf ansprach, aber dennoch war es ihm unangenehm. Er war aufgeflogen und hierher innerhalb des Konstruktes geflohen (soweit man das wirklich als Flucht bezeichnen kann), wohl bewusst, dass es nur ein kleiner Zeitaufschub war. In der anderen Welt würde man sehr bald an seine Tür klopfen, um ihn abzuholen. Das war so sicher wie das Ahmen in der Kirche (so sagte man wohl in der Zeit vor dem Konstrukt). Man stöberte nicht ohne Erlaubnis in fremden Daten herum, zumindest nicht wenn man erwischt wird.

Peter Norm hatte diesmal tief gegraben und war tief befriedigt, dass seine Fähigkeiten immer noch dazu ausreichten. Er hatte sich durch das Firmennetz gebohrt, um dann etwas zu finden, was noch dahinter lag. Niemand konnte ungestraft und unbemerkt so weit gehen, zumindest kein einfacher Programmierer ohne bewährtes kriminelles Potential.

„Hab keine Angst, mein Freund. Noch ist nicht aller Zeiten Ende und die letzten Taten sind noch nicht begangen. Du bist nicht wichtig genug für die Herren dieser Scheinwelt, um sich mit deiner Eliminierung zu belasten. Es mögen skrupellose Barbaren hinter all den Dingen stecken, aber dafür glauben sie tatsächlich, sie währen die Ausgeburt von hoher Zivilisiertheit, was auch immer das heißen mag.“

„Aber sie werden mich vom Konstrukt fernhalten!“, sagte Peter Norm mit einer gewissen Verzweiflung in der Stimme.

„Glaubst du wirklich, dass dies eine unangemessen harte Strafe ist?“

Der alte Mann gönnte sich ein heißeres Lachen, das dem Informanten ein Stirnrunzeln entlockte. Erwartungsvoll blickte er auf den Meister der Träume und hoffte auf eine tröstliche Erklärung. Er war nie ein Spieler gewesen, aber ein Träumer schon. Hier konnte er erschaffen! Hier konnte er selbst die ästhetischen Fantasien genießen, bei denen in der realen Welt Angst und die persönliche Ethik im Wege stand. Er hatte schon früh begonnen, dass Konstrukt als komplexen Teil in sein Leben zu lassen. Und daran hatte sich trotz Veränderungen seiner reellen Situation nie etwas geändert. Es war also eine Konstante, ohne die er sich ein Leben gar nicht vorstellen konnte. Zumal er sich für den Verlust seines Ankers schon zu alt fühlte.

„Sie sperren dich aus ihrer Welt aus, mit der sie versuchen, die andere vollends zu beherrschen. Lass mich dir sagen, dass egal, was dahinter steckt, es ihnen in keiner Weise gelingen wird.“

Verwunderung stieg in Peter Norm auf. Er hatte gehofft, das zumindest an einem Ort wie diesem, die Pläne hinter dem Konstrukt bekannt waren. Doch offensichtlich hatte er sich getäuscht. War alles umsonst? Hätte er lieber auf den kleinen Heldenakts des Spionierens verzichten sollen? Wäre dann alles weiterhin so, wie es vorher war?

Die Frage, die zu den grundlegenden Zweifeln am Sinn seiner selbst gewählten Rolle als Informant von Therseu hinzukam, war: Was hatte er hier erwartet? Rettung? Heldenhafte Anerkennung? Die Antwort darauf konnte er sich selbst nicht geben.

„Enttäuscht?“, fragte der Alte mit einem hintergründigem Lächeln. „Glaub mir, nichts von dem, was du tatest, tust oder noch tun wirst, ist umsonst.“

„Aber ich dachte …“

„Du glaubtest hier Antworten zu finden, die es nicht wirklich gibt, mein Freund. Keiner kann dir wirklich sagen, was der Plan ist. Es gibt nichts Konkretes, nur verrückte Ideen. Diese werden dir bei der Lösung deiner Gedanken und Probleme nicht wirklich weiter helfen.“

„Aber was ist mit Anton Reimig und den anderen, die das Konstrukt beherrschen?“

Der Alte setzte einen skeptischen Blick auf und musterte Peter Norm eingehend. Dann kehrte das Lächeln in sein Gesicht zurück, dass fast einen provokant väterlichen Ausdruck hatte.

„Reimig und die anderen Geldsäcke? Schachfiguren! Du glaubst nicht wirklich, dass sie auch nur im Entferntesten mit der eigentlichen Idee zu tun haben, oder? Sie sind nur die ausführenden Bauern, denen man die Illusion von Königen ins Hirn gepflanzt hat. Dein guter Boss mag wohl wahnsinnig genug sein, um die Rolle hundertprozentig ernst zu nehmen. Doch ich versichere dir, die anderen dieser so genannten Unternehmer sind es nicht.

Ich glaube du wärst nicht hier, wenn du nicht wenigstens einen Blick hinter diese ganze Fassade geworfen hättest, habe ich recht?“

Wusste Zekir Zandro, der Meister der Träume vielleicht doch mehr? War er vielleicht auch darin involviert? Der alternde Programmierer fühlte sich einfach nur noch unwichtig. Sein Leben schien bedeutungslos, angesichts der überall präsenten, übermächtigen Dinge, die nicht ausgesprochen wurden. Wer war dieser Meister der Träume in Wirklichkeit? Was steckte hinter diesem fadenscheinigen Titel und dem dazugehörigen Fantasienamen? Warum hatte er nicht schon früher über solche Dinge nachgedacht?

Peter Norm atmete durch, als gäbe er die Hoffnung auf, dass Leben und seine intriganten Irrwege könnten sich wenigstens ab und an mal als einfach herausstellen. Zu gern würde er die Dinge ignorieren, von denen er wusste, ohne Genaueres darüber erfahren zu haben. Niemand hatte ihn überredet im abgeschirmten Informationsfluss zu spionieren. Egal was er selbst zu wissen glaubte, schuldig war nur er allein.

„Lass den Kopf nicht hängen, mein Freund. Deine Rolle mag in Zukunft um einiges passiver sein, aber dafür auch ruhiger.“

„Welche Rolle soll ich wohl noch spielen. Raus ist raus!“

„Glaub mir´, wenn ich dir sage, dein Leben hält noch die ein oder andere Überraschung bereit. Nur bewahre dir die Offenheit es zuzulassen. Und ich darf solche rätselhaften Sprüche um mich werfen, denn schließlich nennt man mich nicht umsonst den Meister der Träume.“

Zekir Zandro hatte den passenden Punkt getroffen, der die Situation auflockerte. Ein Lächeln zeichnete sich zaghaft auf dem Gesicht des Informanten ab. Vielleicht ergab er sich auch bloß willentlich in den Gedanken einer kleinen Hoffnung für die eigene Zukunft, die sich zumindest in den nächsten Wegpunkten unerbittlich zeigen würde.

„Und nun lass uns über dass reden, warum du hier bist, anstatt über Dinge zu spekulieren, die hinter dem Horizont liegen.“

Nur wenige Augenblicke gönnte sich Peter Norm, um seine Gedanken zu ordnen und sich die Ereignisse der letzten Zeit ins Gedächtnis zu rufen. Erinnerung an zirka elfeinhalb Stunden. Im Konstrukt ging die Zeit anders (eine Errungenschaft von Erfindergeist und moderner Technik). Hier war jede Stunde drei wert, also waren annähernd anderthalb gefühlte Tage dahingeplätschert, seit er sich Zutritt verschafft hatte.

„Eigentlich sind es nur ein paar Nachrichtenfetzen, die ich aufgefangen habe.“

„Besser als nichts, würde ich sagen. Auch wenn ich vielleicht schon ein wenig davon weiß.“

„Das ist mir bewusst. Doch ich habe den Fehler gemacht, den Dingen etwas intensiver nachzugehen, was mein jetziges Dilemma wohl hinreichend erklären dürfte …“

Nach einer kurzen Zwischenpause begann er von all den Dingen zu erzählen, die er erfahren hatte. Er ließ sich Zeit, um möglichst chronologisch nachzugehen und doch erschien ihm der Bericht irgendwie wirr. Wenn der Meister der Träume etwas seltsam daran fand, so sagte er jedenfalls nichts und ließ auch durch keine anderweitige Reaktion etwas durchblicken.

All die Dinge, wie seltsame Fehler in der Grundprogrammierung des Konstruktes und den damit verschuldeten Todesfällen von Usern (sie starben auch tatsächlich in der realen Welt, was natürlich mit allen Regeln der Kunst verschleiert wurde), bis hin zu angeblichen Mutationen, die weltweit auftraten und noch seltsamere Dinge, erschienen Peter Norm jetzt, da er sie erzählte, selbst absurd. Er zweifelte nicht an seinem Verstand. Er hatte diese Informationen tatsächlich aus dem tiefen Netz geholt. Zekir Zandro saß ruhig da und hörte sich alles an. Der Programmierer hatte den Eindruck, es war tatsächlich nicht viel Neues dabei.

Aber schließlich kam er zu einem Datenfetzen, dessen Signatur eher zu einem Hacker passte, als zu einer offiziellen Stelle. Dieser berichtete von einer seltsamen Nebelerscheinung. Vielleicht war diese Nachricht überhaupt die kurioseste, welche er zu bieten hatte und Peter Norm hatte überlegt, ob er sie wirklich mit in den Bericht einfließen lassen sollte. Doch im allgemeinen Redefluss, sprudelte sie aus ihm heraus. Und dann war da die Reaktion des rauschebärtigen Alten vor ihm, dessen Augen plötzlich vor Interesse leuchteten, auch wenn er nichts dazu sagte. Zumindest gab es ein kleines Etwas, dass nicht ganz umsonst Peter Norms Zukunft zerstört hatte.

 

2. Kapitel

Versammelte Intelligenz

 

Sicher ging es immer um eine Art, Menschen zu manipulieren und zu lenken, aber nur um sie zu einen neuen Pfad des Überlebens zu führen und sie dann laufen zu lassen.

Nebenbei gesagt, war die Idee dahinter immer schon experimentell und niemals von starren Idealen geprägt. Ein gewisses Maß an Versagen war sozusagen mit eingeplant … Die Initiatoren unseres Projektes hatten zu keiner Zeit die Ambition eine Diktatur einzurichten.

 

Über das Projekt „Phantasmogorie“

unbekannter Verfasser

 

Das Gelände der Zusammenkunft war mehr als ungewöhnlich, da die Basis künstlich erschaffen wurde. Hier waren die nie fertig gestellten Überreste, die vom Wahnsinn der Generationen zeugten, die der Hochzeit des großen Projekts vorausgingen.

Man hatte die Spitze eines Berges abgeschnitten und mit massiver Gewalt ein künstliches Becken hinein gestanzt. Eine der einfallslosen Augenwischerei, der Umwelt etwas Gutes zu tun, in dem man so genannte erneuerbare Energie über ein primitives Wasserkraftwerk speicherte. Nur die richtigen Worte gewählt und die Leute (zumindest der größte Teil) schrie juhu. Man konnte nur zu leicht die wenigen Stimmen ignorieren, die den Unfug dieses Systems anprangerten. Die Investitionen hielten sich im ertragbaren Bereich, nicht etwa wie solche für innovative Neuentwicklungen.

Jedenfalls diente die nie fertig gestellte Anlage jetzt irgendeinem Zweck und war somit nicht nur eine Narbe der menschlichen Barbarei am eigenen Nest. Zudem schien angesichts des manipulativen Sinns der ursprünglichen Verwendung die kleine Gesellschaft hier am richtigen Ort zu sein, da just die gesteuerte Beeinflussung von menschlicher Gesellschaft der grundlegende Inhalt war, den man hier verfolgte. Man konnte die Ziele dieser kleinen Enklave ohne Zweifel als eine Neuauflage des Illuminatenmythos betrachten: genauso geheimnistuerisch, genauso verborgen vor der Aufmerksamkeit der ahnungslosen Massen, genauso behaftet mit schöpferischer Energie des Abstrakten und dem destruktiven Einfluss von etwas Teuflischem.

Die Wissenschaftler hier lebten ihren Traum, der mit eigenen Gesetzen und eigener Ethik durchwoben war. Man betrachtete zumindest den menschlichen Anteil dieser Welt als eine experimentelle Größe und tolerierte zum Nutzen eines nicht klar definierten Ziels die unterschiedlichen Ansichten und Wertigkeiten der Humanität. Selbst die wirtschaftlichen Aspekte waren hier mehr oder weniger nur eine Größe, ein Werkzeug oder Methode, die für das Experiment als Katalysator eingesetzt wurde, berechnet und dosiert.

Der Mittelpunkt der sich invasiv in den Berg schmiegenden Anlage war ein beeindruckendes Gebäude, welches im Stil einer alten Universität errichtet wurde. Es war das Zentrum der mitteleuropäischen Zelle einer weltumspannenden Organisation, deren weit verstreute Ableger wie Metastasen verteilt waren und im Gedärm der Menschheit wucherten.

Es gab hier keinen Großmeister oder Befehlshaber, nur durch ihre Bedeutung und Anerkennung erhobene Köpfe, die ihre Anteile des ausufernden Projektes betreuten. Erstaunlich selten trafen all diese wichtigen Personen zusammen, um sich über die Grenzen ihrer Fachgebiete hin auszutauschen. Meist verfolgten sie ihre eigenen Forschungen, die sich im Gesamten einem abstrakten Ziel verschrieben hatten und je nach Ergebnis in ein Bild einzureihen versuchten, dass nach beständiger Glättung ein vielschichtiges Räderwerk ergab. Der Austausch oder gar die Zusammenarbeit fand lediglich dort statt, wo es förderliche Überschneidungen zu beiderseitigen Nutzen gab, was nicht nur auf europäischer Ebene, sondern global praktiziert wurde.

Doch nach mehr als fünfzig Jahren, in denen man den Mantel der zweifelhaften Interessen über die Menschheit ausgebreitet hatte, gab es Redebedarf, der manch ungewöhnlichen Vorgängen geschuldet war. Einiges schien sich zu verselbständigen und sich der Kontrolle der Intelligenzen zu entziehen. Weltweit kam es zu den Aufrufen, die nach mehr Koordination schrien, teils aus Panik wegen fehlender Berechenbarkeit oder ungeplanten Verläufen verschiedener Aspekte des großen Experimentes.

 

Björn Lamertes atmete tief durch, bevor er das zentrale Auditorium betrat. Obwohl er sicher einer der anerkanntesten Köpfe dieser illustren Gesellschaft war und mit seinem fundierten Wissen die Stellung des Redeführer bei Versammlungen für sich beanspruchen konnte, graute es ihm vor einer Veranstaltung diesen Ausmaßes. Man nannte sich nach außen hin „Bruderschaft“, auch wenn der Sinn dieser Bezeichnung irreführend war. Doch schien es wohl eher ein Schmelztiegel aus den verschiedensten Individualisten zu sein, die durchaus zur Selbstbeweihräucherung neigten. Wissenschaftler, ausgestattet mit Freiheit und Möglichkeiten, tendierten zu grandiosen Formen der Eitelkeit, wenn sie einmal von der Leine gelassen worden.

In seiner Eigenschaft als Philosoph und Psychologe fragte sich Lamertes oft, ob sie das Feld der Zukunft nicht dem wahren Teufel überschrieben hatten. Und doch sah er keinen besseren Weg, was ihn letztendlich immer wieder zu einem Loyalisten gegenüber dem großen Projekt machte, dessen Ausgang nach wie vor ungewiss war.

Wie ungewiss zeigten gerade die Vorkommnisse und Entwicklungen der letzten Zeit, weswegen dieses Treffen überhaupt angesetzt wurde. Schon seit einigen Tagen versuchte Lamertes sich ein Konzept zurecht zulegen, mit dem er flexibel auf alle hoch kochenden Schrullen der Delegierten reagieren konnte, ohne jemanden übermäßig zu verprellen. Warum mussten ausgerechnet die Intelligentesten auch die schwierigsten Persönlichkeiten haben.

Das Witzigste an der ganzen Sache war wohl, dass die hier anwesenden Vertreter eigentlich deshalb ausgewählt wurden, damit sich ihre Projektanteile mit anderen koordinierten und sie ihre Arbeiten nach außen vertreten konnten. Einfach gesagt, würden im Auditorium die Politiker der Intelligenz sitzen. Die wirklich für die Projekte entscheidenden Hirne interessierten sich nicht für das Ganze oder für gesellschaftliche Interaktionen. Verbissen feilten und hämmerten sie in ihren Labors und Werkstätten an den komplizierten Details, welche in den Kosmos ihres jeweiligen Fachgebietes gehörten. Diese superklugen Freaks wären für eine Zusammenkunft dieser Art wahrscheinlich nahezu unanbietbar gewesen.

Das hieß nicht, dass die Anwesenden einen geringeren IQ hatten, aber man schrieb ihnen einen größeren Weitblick zu, was Lamertes trotz allem manchmal an dem ganzen System und seinem Auswahlverfahren zweifeln ließ. Doch was sollte man machen? Das Dilemma bei der ganzen Angelegenheit war, dass man Vertreter brauchte, die nicht wie Fassadenträger und Werbefachleute auftraten, sondern auch wirklich wussten, wovon sie sprachen (möglichst ein wenig fachgebietsübergreifend). Das erforderte oft größere Kompromisse, die an den Charakteren und persönlichen Eigenschaften vorbeigingen.

Und so war der alte Mann und Schirmherr dieser Enklave sehr angespannt. Er atmete durch und betätigte die archaisch wirkende Klinke der hinteren Eingangstür zum Saal. Erleichtert registrierte Lamertes das verhaltene Gemurmel, welches vom bisher ruhigen Austausch in kleineren Gruppen genährt wurde. Noch gab es keine erregten Dispute oder Wichtigtuereien. Er betrat die zentrale Rednerkanzel und blickte in die Runde. Bisher hatten sehr Wenige seine Anwesenheit registriert oder man ignorierten ihn gekonnt.

Björn Lamertes räusperte sich und sah, wie um den Effekt dieser Geste zu überprüfen in die Runde. Erst jetzt wurde er sich wirklich bewusst, wie viele dem Aufruf zu diesem Treffen gefolgt waren. Der alte Herr glaubte nicht, dass es zu seiner Zeit jemals eine Zusammenkunft mit derartiger Beteiligung gegeben hatte. Lag es daran, dass die Entwicklung des Projektes soviel Aufmerksamkeit auf sich zog? Oder gebührte der Erfolg dieser Konferenz seinem neuen Assistenten, von dem Lamertes ohnehin schon wusste, dass er tüchtig war?

Und dennoch war es nicht unbedingt ein Vorteil. Eine kleinere Anzahl wäre unkomplizierter geworden. In dieser Konstellation würden sich eventuelle Diskussionen uneffektiver in die Länge ziehen. Sollten Entscheidungen getroffen werden müssen, so würde es noch viel mehr Kraft kosten, die hier versammelten brillanten Köpfe zu einer vernünftigen Einigung zu bewegen. Mit Grauen sah der Schirmherr der mitteleuropäischen Zelle der nahen Zukunft entgegen, in der man sich zweifellos weltweit abstimmen musste.

Nach weiteren Augenblicken auf dem Podium, in denen er von den meisten Delegierten ignoriert wurde, überfiel den alternden Wissenschaftler ein Gefühl der Wut. Eigentlich sollten hier ja die führenden Köpfe ihrer Gesellschaft zusammentreffen, Doch alles was er sah, erinnerte ihm zu sehr an eine wüste Bande streitsüchtiger Politiker der alten Zeit, die zumindest auf dem Papier der Vergangenheit angehörte. Das er in Gedanken überreagierte, war ihm bewusst. Die Stereotype und Vorurteile saßen aber tief und ließen sich nur schwer ausschalten.

Mit lauter Stimme nutzte er die versteckten akustischen Systeme, um sich endlich Gehör zu verschaffen: „Ich bitte die Anwesenden in aller Form zur Ruhe zu kommen. Wir sind alle viel beschäftigte Leute, was ein Grund mehr ist, endlich anzufangen!“

Die Schärfe in seiner Stimme tat ihre Wirkung und war wohl der ausschlaggebende Punkt dafür, dass die Gespräche schließlich erstarben und die Anwesenden sich wie zurecht gewiesene Schuljungen auf ihre Plätze begaben. Lamertes hielt inne und wartete ab, bis sich auch der Letzte voll und ganz in seiner Aufmerksamkeit auf ihn konzentrierte.

„Danke!“, quittierte er knapp die Veränderung. Die Wut wechselte angesichts der Situation in einen Anflug der Amüsiertheit. Hier saßen Leute, die mit den kompliziertesten und anspruchsvollsten Dingen zu tun hatten. Und dennoch machten sie eher den Eindruck, als wäre diese ganze Sache eine simple Schulveranstaltung.

„Ich möchte nicht unsere Zeit vergeuden, in dem ich viele einleitende Worte verliere. Wir sind hier, weil sich in letzter Zeit in mehreren Bereichen noch ungeklärte Probleme und seltsame Phänomene häufen.

Es wäre, bevor wir direkt zum Thema kommen, nur noch eines erwähnt. In allen unseren Zentralen weltweit finden ähnliche Zusammenkünfte statt, entweder genau jetzt oder in den nächsten Tagen. Wir sind überein gekommen, dass die globalen Interessen einer stärkeren Vernetzung bedürfen, ebenso einer vertieften interdisziplinären Zusammenarbeit.

Ich hoffe inständig, dass ein jeder von ihnen diese Notwendigkeiten versteht und im gebührenden Maße mit trägt.“

Ein Blick in die Runde verriet Lamertes, dass sich einige der Delegierten bereit machten, um ihren Senf zu dieser Aufforderung dazu zu geben. Die schon zu lange ausgelebte Eitelkeit dieser Personen, zwang sie wohl dazu, unbedingt ihre Standpunkte einzuwerfen, ungeachtet vom Sinn der Aktion und der Gefahr der Kontraproduktivität. Man wollte sich unter gar keinen Umständen die Butter vom Brot nehmen lassen.

„Meine Damen und Herren, ich möchte sie doch bitten, die Diskussionen auf einen geeigneteren Zeitpunkt zu verschieben. Die Gelegenheit über Vorgehensweisen und Maßnahmen zu diskutieren, wird sich später eröffnen. Vorerst sollten wir uns mit den Tatsachen vertraut machen.“

Ein etwas zurückhaltendes Gemurmel erhob sich, um gleich wieder zu ersterben. Lamertes wertete dies als Zustimmung, wenn er auch sicher war, dass manche diese nur recht widerwillig gaben. Wenigstens begannen die Streitlustigen unter den Anwesenden nicht zu diesem frühen Zeitpunkt seine Autorität zu untergraben. Doch auch dies würde mit absoluter Sicherheit später noch zum Programm gehören.

„Wie sie alle sicherlich bereits bemerkt haben, treten die momentan gehäuften Problemen in unterschiedlichen Bereichen auf. Natürlich weigert sich der wissenschaftliche Verstand, daran zu glauben, dass all diese Vorkommnisse in einem direkten Gesamtzusammenhang stehen, da die sich bei den Meisten nicht einmal mit viel Fantasie irgendwelche Verbindungen erkennen lassen. Dennoch passieren sie in einem engen Zeitrahmen und müssen natürlich prioritätsorientiert gelöst werden.

Als absolut gravierend werden zum Beispiel die seltsamen radioaktiven Ausbrüche der Endlager und die erhöhten, nicht vorhersagbaren tektonischen Aktivitäten in verschiedenen Weltgegenden gesehen. Beides entzieht sich momentan noch jeglichem wissenschaftlichen Erklärungsversuch, aber sollte zumindest in Teilen jedem hier zu Ohren gekommen sein.

Leider mussten wir feststellen, dass bei der Zunahme dieser noch verhältnismäßig kleinen Katastrophen, wie sie bis zum jetzigen Zeitpunkt vorkommen, nicht auszuschließen ist, dass es auf Dauer zu einem noch nie da gewesenen Szenario kommen könnte, was sicherlich keiner von uns erleben möchte.“

Lamertes ließ die Worte wirken und sah in verdutzte und erschrockene Gesichter, welche bewiesen, dass sich viele der Anwesenden den tatsächlichen Ernst der Lage noch nicht vor Augen geführt hatten.

Einer der Delegierten erhob sich und trat an eine der verteilten akustischen Konsolen des Saals und räusperte sich. Schließlich fragte er: „Warum sind wir über derartige Tatsachen und die möglichen Konsequenzen nicht ausreichend informiert wurden? Man sollte doch meinen, dass wäre ein Punkt, den man nicht für sich behalten darf!“

„Ihre Frage ist leicht beantwortet.“, begann Lamertes zu antworten. „Die Daten und Gesamtanalyse wurde erst vor wenigen Tagen fertig gestellt. Und selbst dies ist erst ein vorläufiges Ergebnis.

All diese langwierige Arbeit ist übrigens ein erster Hinweis darauf, warum unsere Gesellschaft eine stärkere globale Vernetzung ihrer Daten und Erkenntnisse braucht, ohne damit eine Diskussion darüber eröffnen zu wollen. Es ist unbestreitbar eine Frage der Effektivität.“

Den letzten belehrenden Teil seiner Antwort fügte er schnell an, um keine sinnlose Unterbrechung zu riskieren. Aber noch immer stand der Delegierte an der Konsole und wartete mit aufgeputschten Selbstbewusstsein das Ende des Gemurmels ab, zweifelsohne um die volle Aufmerksamkeit der Versammlung zu genießen. Es war wohl die Zeit für einen ersten Angriff auf den Schirmherren, immer noch ziemlich früh, aber dennoch absehbar und durchsichtig.

Lamertes ging durch den Kopf, wie arrogant das Gebaren mancher dieser so genannten Denker war. Der Redner, der noch immer wartend zwischen den Reihen stand, hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich namentlich vorzustellen. Sicherlich glaubte er tatsächlich, dass seine Arbeit einen Faktor der Bedeutung genoss, so dass seine Person aufgrund ihrer Bekanntheit nicht vorgestellt werden brauchte. Hybris kommt immer vor dem Fall! Mit einiger Sicherheit dachten viele der hier Anwesenden ähnlich. Doch Lamertes konnte sich beim besten Willen weder an den Namen, noch den Fachbereich der gesamten Belegschaft erinnern. Gerade bei dem immer noch wartenden Redner, hatte er überhaupt keine Assoziationen.

Fast musste er kichern, bei dem Gedanken daran, dass er sich selbst auch nicht vorgestellt hatte, auch wenn sein Bekanntheitsgrad allein durch seine Stellung hier in der Enklave gesichert war. Die Höflichkeit hätte es verlangt und verlangte jetzt wohl, dass er seinen Fehler öffentlich eingestand. Doch diese Blöße konnte er sich zu diesem Zeitpunkt eindeutig nicht mehr geben.

„Herr Lamertes, die Frage, welche mich brennend interessiert ist, ob wir denn noch die genauen Daten über diese Vorkommnisse einsehen dürfen oder ob wir weiterhin mit oberflächlichen Informationen versorgt werden?“

Der Mann an der Konsole blickte sich zustimmungsheischend um und schien bestätigt haben zu wollen, dass er gerade eine Breche für alle mit dieser unnützen Frage geschlagen hatte. Doch er schoss weit daneben. Lamertes setzte ein amüsiertes Lächeln auf und ging ohne groß Zeit zu verlieren zum Gegenangriff über: „Bevor ich ihnen darauf eine durchaus sehr einfache und effektive Antwort gebe, würde ich sie doch bitten, sich erst einmal vorzustellen. Das erleichtert uns doch allen sehr die Einordnung von vielleicht noch unbekannten Gesichtern und ihren jeweiligen Beteiligungen an unserem großartigen Projekt.“

Der Schlag saß. In den Augen des betreffenden Delegierten tauchte ein seltsamer Funken Wut auf. Natürlich hatte er in dieser Situation der Forderung nichts entgegenzusetzen, außer ihr brav nachzukommen. Aber er würde mit absoluter Sicherheit Lamertes dafür in keiner Weise mit Dankbarkeit begegnen, sondern mit einem Groll, der sich möglicherweise in der Zukunft als etwas Fatales herausstellen könnte. Dem Schirmherren war es in diesem Moment allerdings egal.

„Herr Müller-Ernstthal. Ich arbeite an verschiedenen Projekten, die sich mit den chemischen Methoden des Recycling beschäftigen.“

Lamertes nahm die dahin geworfene Vorstellung auf und beschloss es erst einmal dabei zu belassen.

„Was ihre Frage betrifft, Herr Müller-Ernstthal, so können sie alle momentan verfügbaren Fakten in den Daten finden, welche ihnen als Delegierte schon vor drei Tagen im Rahmen unseres kleinen Kongresses hier überreicht und zugänglich gemacht wurden. Manchmal sollte man durchaus auch mal in solche Dinge hinein lesen, auch wenn die eigene Zeit etwas knapp bemessen ist.“

Fast bereute er schon den zweiten Teil seiner Antwort. Er wollte nicht unnötig Unfrieden stiften, dazu war diese Veranstaltung hier viel zu wichtig. Doch andererseits konnte er sich genau diese Dinge angesichts derartiger Situationen nicht verkneifen. Vielleicht hatte er manche dieser eigenbrötlerischen Herren damit etwas ausgebremst, doch er zweifelte daran. Also blieb nichts weiter als einfach darüber hinweg zu gehen.

„Bevor noch weitere Fragen dieser Art aufkommen, möchte ich betonen, dass auch über alle anderen Probleme und Vorkommnisse der letzten Zeit die bekannten Tatsachen und ersten Analysen in diesen Daten zu finden sind. Außerdem stellen wir allen Abteilungen und Einrichtungen regelmäßige Aktualisierungen zur Verfügung.“

Keiner der Anwesenden sah sich in der Lage etwas zum Gesagten hinzuzufügen. Und so setzte Lamertes seine einführende Rede fort. Er zählte alle relevanten Dinge grob auf, die eine Rolle spielten, von plötzlichen Fehlern im Konstrukt, die selbst die begabtesten Programmierer vor Rätsel stellten, bis hin zu den beunruhigenden Mutationen, die sich in den letzten Monaten bei Menschen verschiedenster Herkunft zeigten.

Lamertes berichtete grob von parapsychologischen Fähigkeiten, die sich unter Augenzeugen und außerhalb des Konstruktes manifestiert hatten, von Landmarken die auf Satellitenbildern auftauchten und keinen Sinn ergaben, von ganzen Epidemien gewalttätiger Ausbrüche, die sich an scheinbar zufälligen Orten und ohne erkennbaren Hintergrund ereigneten, von kleineren Zwischenfällen, die keine erkennbaren Ursachen zu haben schienen.

Nachdem er seine kleine Exkursion über all diese Unannehmlichkeiten beendet hatte, besprach man die restliche Tagesordnung und ließ dann zu einzelnen Vorkommnissen Experten zu Wort kommen, die das Thema eingehend vertieften. Lamertes war sich in den meisten Fällen zwar nicht sicher, ob diese Vorträge angesichts ungeklärter Fakten Sinn machten, aber offenbar verlangte ein ungeschriebenes Protokoll dieses Vorgehen. Es war erwartungsgemäß nicht wirklich ergiebig. (Diese Erkenntnis würde sich vermutlich noch durch den ganzen Kongress ziehen.)

Nach einer längeren Pause war es wohl an der Zeit, die Redner ans Pult zu bitten, die trotz ihrer nicht direkt an den Vorfällen beteiligten Forschungsbereichen ihren Senf dazu geben wollten. Lamertes war versucht zu beten, dass wenigstens der ein oder andere, ohne den Zwang sich selbst zu produzieren, irgendwas Sinnvolles beitragen würde. Die müden Augen des Alten überflogen unverbindlich die Rednerliste. Zu seiner großen Überraschung sah er einen Namen, den er ganz und gar nicht erwartet hatte: Herrn Selim Levan.

Als schließlich dieser Redner angekündigt wurde und das Podium betrat, wurde das mit einer erhöhten Geräuschkulisse quittiert. Lamertes hörte ganz nach seiner Erwartung höhnische Bemerkungen und Unmutsbekundungen, die durchaus einen vulgär-primitiven Unterton hatten. Der seltsame Selim Levan betrat mit lächelnder Miene die Bühne und ließ all dies völlig gelassen über sich ergehen.

Nach einer ganzen Weile sah Lamertes sich gezwungen, dieses unwürdige Schauspiel zu beenden und begab sich zu Levan, um ihm Kraft seiner Autorität zur Seite zu stehen: „Ich bitte meine Herren, seien sie doch vernünftig. Egal welche Differenzen sie mit der Arbeit von Herrn Levan verbinden, gebietet es doch wohl die Vernunft und die Höflichkeit, zumindest seinen Beitrag abzuwarten, bevor man sich in derartiger Art und Weise produziert.“

Eine dicke Frau aus der Mitte sprang erstaunlich behände auf und bahnte sich einen Weg durch das anhaltende Gemurmel im Saal zur nächstliegenden akustischen Konsole. Mit übertriebener Lautstärke begann sie zu sprechen: „Vorsitzender Lamertes. Ich glaube kaum, dass es in diesem Rahmen hier notwendig ist, jemanden wie Herrn Levan anzuhören. Jedem hier dürfte mittlerweile bekannt sein, dass trotz der Zugehörigkeit zu unserer eher lockeren Organisation einige Personen eher gegen unsere Überzeugungen und Basis arbeiten. Meiner Auffassung der Dinge nach, und da bin ich mit absoluter Sicherheit in der Mehrheit, kommt es einem Verrat sehr nahe!“

„Ich kenne durchaus die allgemeinen Ansichten über die Arbeit der Vendris-Laugenda-Gruppe. Doch ich möchte sie daran erinnern, dass sie mit vollem Bewusstsein von den Begründern des großen Projekts ins Leben gerufen wurde und in die Organisation eingegliedert worden ist. Ich bin jetzt allerdings nicht gewillt, ihnen die Aufgaben und Gründe zu erläutern, die zu dieser Entscheidung führten. Natürlich steht jedem von ihnen frei, sich im Rahmen umfassender Recherchen mit diesen Dingen vertraut zu machen.“

Lamertes Stimme hallte mit autoritärer Kraft durch den Saal und erstickte fürs Erste das wütende Summen. Mit Sanftheit drängte sich Levan selbst auf das Rednerpult und begann, die kurzweilige Ruhe nutzend, zu reden: „Ich kann die Anwesenden beruhigen. Nichts liegt mir ferner, als sie in dieser Versammlung von derartiger Wichtigkeit mit konträren Ansichten oder ähnlichen Unstimmigkeiten zu bombardieren. Der einzige Grund, warum ich hier am Rednerpult stehe, ist ein Phänomen, dass im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen

aufgetreten ist, dass ihnen mit Sicherheit nicht bekannt sein dürfte.

Um sie versöhnlich zu stimmen, verspreche ich ihnen, es bei den reinen Tatsachen zu belassen. Danach können sie gern wieder über mich wettern, ich hab inzwischen bei solchen Angelegenheiten ein dickes Fell.“

Levan hielt inne. Seine stechenden Augen musterten mit immer noch anhaltender Gelassenheit die Sitzreihen im Saal, während seine Finger lässig im kurzen Vollbart spielten oder seine total rasierte Glatze strichen. Nervöse Blicke wurden bei den Delegierten ausgetauscht, aber die missmutigen Stimmen erhoben sich nicht wieder.

Nach mehreren Momenten nickte der Alte am Rednerpult, wie zu sich selbst und begann schließlich mit sonorer Stimme seinen Bericht: „Wie schon von unserem ehrenwerten Schirmherren erwähnt, existieren Aufzeichnungen von kurzfristig aufgetauchten Landmarken, welche keineswegs in unser geographisch geprägtes Bild gehören. Die Meldungen über dieses Phänomen sind nicht lokal begrenzt und ebenso wenig von einheitlicher Gestalt. Sie tauchen in unterschiedlichen Zeiträumen und mit variabler Dauer auf.

Dieses Phänomen hat die Vendris-Laugenda-Gruppe dazu bewogen, genauere Nachforschungen zu diesen seltsamen Erscheinungen zu betreiben. Die Ergebnisse sind erst vor wenigen Tagen zusammengetragen wurden, weshalb sie auch noch nicht in den offiziellen Dokumenten verzeichnet sind.

Die exakte Analyse von Archivdaten hat ergeben, dass es diese Erscheinungen schon mehr als zehn Jahre gibt. Allerdings war die Zeitspanne des Auftauchens dieser unwirklich erscheinenden Landmarken so gering, dass es offensichtlich niemand wahr genommen hat. Seit mehreren Monaten allerdings strecken sich diese auftauchenden Phänomene über Minuten und neuerdings sogar über Stunden.

Wir beschlossen uns vor Ort einer solchen Erscheinung anzunehmen und haben versucht, irgendwelche Muster zu finden, was sich als durchaus schwierig herausgestellt hat. Doch vor wenigen Tagen gelang es, durch eine gewagte Berechnung einen solchen Ort vorher zusagen und zu erreichen, bevor er sich wieder ins Nichts auflöste.“

Levan blickte mit viel sagenden Gesichtsausdruck in die Runde, wie um die Wirkung seiner Worte zu überprüfen. Noch immer verhielten sich die Delegierten ruhig und harrten mit einer tatsächlich spürbaren Spannung der Dinge, welche da noch kommen würden.

Levan fuhr ungerührt fort: „Ich selbst war vor Ort, welcher übrigens nicht weit von hier zu finden war. Was meinem Team dort begegnete, war so unerwartet, wie man es sich nicht einmal aufgrund der ungewöhnlichen Ausgangslage ausmalen konnte.

Die Landmarke selbst war nach den Messungen des entsprechenden Satelliten ganze 53 Hektar groß und von hügeliger Gestalt. Also schon eine der ausgedehnteren Varianten der unbekannten geographischen Phänomene, was vielleicht sogar angesichts der europäischen Maßstäbe untertrieben ausgedrückt ist.

Obwohl wir schon kurz nach dem Auftreten vor Ort und Stelle waren, hatten wir keine Gelegenheit die Beschaffenheit des Areals zu überprüfen oder direkt zu analysieren, um was es sich handelte, da uns eine mehr als seltsame Grenzbeschaffenheit daran hinderte.“

Wieder hielt der Alte in seinem Bericht inne, um die Reaktion des eigentlich eher ablehnenden Publikums zu begutachten. Keine abfälligen Bemerkungen, nicht einmal Anzeichen von Ignoranz waren festzustellen. Ein eindeutiger Vorteil der wissenschaftlicher Neugierde, die in dieser Versammlung wohl eindeutig als der kleinste Nenner fungierte.

„Wir umrundeten den Großteil der Erscheinung und stellten überall das selbe Phänomen fest, welches aus einem bläulich leuchtenden Nebel bestand. Etwas Vergleichbares kennt man höchstens aus den alten effektreichen Filmen oder den fiktiven Komponenten des Konstruktes.

Das Erstaunliche an diesem Nebel war allerdings, dass er stofflich gesehen gar nicht vorhanden zu sein schien. Er widerstand beharrlich jeglicher Art von wissenschaftlicher Analyse. Also gibt es weder konventionelle Daten, noch irgendwas anderes Verwertbares.

In der Endkonsequenz beschlossen wir jemanden hinein zu schicken, unter Beachtung aller erdenklicher Sicherheitsmaßnahmen. Der Betreffende wurde angeleint, damit wir sicher gehen konnten, dass er wieder zurückfindet. Das Ergebnis endete damit, dass dieser Kollege in völliger Verwirrtung und mit seltsam skurrilen Berichten zurück kam, die uns an seinem Verstand zweifeln ließen.

Seltsamer Weise sind selbst bei dem akkuraten Bildmaterial, welches wir selbstverständlich machten, nur schemenhafte Eindrücke erkennbar. Das ist selbst für jemanden wie mich, der sich dem Unbegreifbaren gewidmet hat, so ausgesprochen abnorm, wie es nur sein kann.

Ich bitte deshalb darum, dass sich die Delegierten, welche Interesse für dieses Phänomen haben, sich selbst ein Bild zu machen. Alle Daten die global über dieses kürzlich entdeckte Detail gesammelt wurden, werden natürlich zur Verfügung gestellt, inklusive der Berechnung, welche mit einer Wahrscheinlichkeit von zirka 70 Prozent zur Vorhersage des Erscheinens führen sollte.“

Levan endete so abrupt, wie er angefangen hatte und verließ ohne jeglichen Zeitverlust das Rednerpult. Offenbar hatten die Anwesenden etwas völlig anderes erwartet, denn noch eine Minute nach seinem Verschwinden regte sich so gut wie nichts.

Auch Lamertes brauchte diese kurze Zeitspanne, um sich einer Situation zu stellen, welche sich ihm aus unerfindlichen Gründen entzog. Er beschloss, noch während er sich wieder zum Rednerpult begab, ein intensives Gespräch mit Levan zu führen. Er hatte das Gefühl, irgendwann den Anschluss verpasst zu haben.

Nie war Lamertes mit der Abneigung der meisten anderen Kollegen an die Vertreter der Vendris-Laugenda-Gruppe herangetreten, zu der sich Levan nach wie vor zugehörig fühlte. Er akzeptierte immer noch vorbehaltlos die Legitimation durch die Gründer des großen Projektes und bastelte sich aus dürftigen Wissen dazu seine eigene Logik. Doch aus irgendeinem seltsamen Grund begriff der alte Wissenschaftler, dass er gar nichts wusste.

War dieses Wissen wichtig? Würde man ihn wirklich daran teilhaben lassen? Nun er würde es zwangsläufig herausfinden. Würde dieses Gespräch Konsequenzen haben? Mit Sicherheit! Fraglich war nur welche.

 

3. Kapitel

Realitätsflucht

 

Das große Projekt hat einen Namen! Auch wenn dieser nur selten benutzt wird, existiert er: PHANTASMAGORIE!

Welch ein schönes Wort, das bedeutungsschwanger daher kommt.

Zur Erklärung wurde immer eine Art magische Show mit dieser Bezeichnung angegeben, welche durch Lichteffekte Trugbilder hervorzubringen gedachte, welche die Sinne und den Verstand des Zuschauers narrten.

Durchdenkt man die Wortwahl im Gesamten und setzt man das Konstrukt als Basis und alles andere als Anpassung daran, wird die Wahrheit mit jedem Gedanken genialer, aber auch erschreckender …

 

Ansprache von Selim Levan

 

Peter Norm hatte nach dem Gespräch mit Zekir Zandro, wie ihm geraten wurde, das Konstrukt verlassen. Doch er verließ die Firma nicht. Zu hause würde man ihn mit großer Sicherheit schon erwarten. Was dann geschehen könnte, mochte sich der Informatiker nicht ausmalen.

Zumindest hier in den IT-Büros von Global-Visions war nichts, was darauf hinwies, dass er sich etwas zu schulden kommen lassen hatte. Mit absoluter Sicherheit war dies natürlich nicht zu sagen. Wurde er vielleicht doch mit unsichtbaren Überwachungssystemen beobachtet? Erhoffte man sich vielleicht noch Beweise für Spionage oder einen Loyalitätsbruch? Diese Frage würde er nur beantworten können, wenn es für ihn zu spät war.

Peter Norm sah sich nicht als Verräter. Sicher fungierte er für die rebellischen Gruppen im Konstrukt, die versuchten gegen die allgegenwärtige Manipulation der großen Konzerne und ihrer dubiosen Hintermänner vorzugehen, die eindeutig das Zepter über den größten Teil des humanen Verstandes in der Hand hielten. Peter Norm sah es aber als Dienst für seine Firma! Er fühlte sich eher als Patriot, der die ursprünglichen Ideen und Konzepte vertrat, zu denen sich die Schöpfer dieser Welt bekannten.

Natürlich ging es immer um Manipulation. Doch ursprünglich hatte sie eine bessere Welt zum Ziel und nicht den Gewinn allumfassender Macht. Der Gründer von Global Visions, Lukas Reimig, schaffte durch die Fusion kleiner Softwarefirmen die Grundlage für etwas Waghalsiges, dass die Kraft hatte, diese Welt zu verändern. Auch in anderen Teilen der Welt wurden fast gleichzeitig ähnliche wirtschaftliche Unternehmungen gegründet. Man wuchs in rasanter Geschwindigkeit und übte Einfluss auf bald alle Bereiche des Lebens und der Wirtschaft aus.

Peter Norm kannte nicht einmal einen geringen Bruchteil dessen, was zu diesem durchschlagenden Erfolg führte. Nur das es der Untergang der stagnierten Gesellschaft war, die seit Ende des zwanzigsten Jahrhundert die Menschen nur noch erdrückte, dies war ihm ihn vollem Bewusstsein oder seinem ganz privaten Glauben.

Und dann engagierte „Global Visions“ ihn als jungen Programmierer. Er hatte sich durchaus im Konstrukt und dessen Gestalt verewigen dürfen. Seine Arbeit wurde von Lukas Reimig hoch geschätzt und mehrmals gewürdigt. All das war mittlerweile fast dreißig Jahre her. Für Peter Norm stellte diese Zeit den Anfang eines glücklichen Lebensabschnittes dar, den er mittlerweile vollkommen verloren glaubte.

Eines Tages starb der unbestrittene Chef dieses Unternehmens, welches zu jener Zeit eines der führenden Firmen weltweit war. Sein Sohn Anton trat nahtlos die Nachfolge an, was sich anfangs durchaus nach einem Segen anfühlte. Aber eben nur anfangs.

Peter Norm verstand nichts von Firmenpolitik und irgendwelchen Hintergründen. Doch Eines war nahezu überdeutlich: die Ideale änderten sich in die alten Zustände dekadenter Machtgier. Der Programmierer, als jemand, der sich öffentlich zu den Zielen des Firmengründers bekannte, wurde immer weiter in die Ecke gedrängt. Jetzt war er nur noch in der Serviceabteilung für die interaktiven Marktzentren tätig und beseitigte unbedeutende Fehler in den Programmsequenzen der virtuellen Ladenfilialen. Man könnte dies als Hausmeistertätigkeit innerhalb eines irrealen Konsumareals beschreiben. Eine Tätigkeit ohne Perspektiven oder notwendige Qualifikationen über dem Standard.

Schließlich nahm Peter Norm Kontakt zu der virtuellen Enklave Therseu auf und wurde schließlich Informant. Auch wenn sein Beitrag höchstwahrscheinlich völlig unbedeutend war, vermittelte ihm diese heimliche Doppelleben im Konstrukt dennoch das Gefühl, für seine Überzeugungen zu kämpfen.

Und nun stand Peter Norm in seinem kleinen Büro und musterte seine nicht mehr ganz neue Konsole, wie bei einem Abschied von einem Freund. Er war im Nachhinein von Enttäuschung heimgesucht wurden. Das Gespräch mit dem Meister der Träume war nicht wirklich befriedigend verlaufen, zumindest aus seiner Sicht. Er fand in Therseu keinen Ausweg und scheinbar keine Hilfe. Doch was hatte er sich erhofft?

Zekir Zandro hatte ihn anfangs sehr beeindruckt. Doch nach einiger Zeit überkam ihn Skepsis. Wer war dieser Meister der Träume in Wirklichkeit und was waren die wahrhaftigen Ziele hinter seinem Tun? Sicher hatte er mit Therseu eine Zuflucht geschaffen, für alle, die sich den großen Herren des Konstruktes, wie Anton Reimig einer war, entziehen wollten. Aber da gab es immer noch die Beweggründe, die nicht klar ersichtlich waren.

Im Kopf des Informatikers drehte sich alles. Das erste Mal in seinem Leben verstand er, dass er gar nichts verstand. Was wusste er schon über all die Dinge hinter den Dingen. Alles stellte sich in Frage, selbst die messianische Präsenz von Lukas Reimig, die er immer in seinem Weltbild gespürt hatte. Jeglicher Sinn wurde nichtig.

So kam der spontane Entschluss aus den Tiefen eines erschütterten Bewusstseins. Peter Norm würde ein letztes Mal ins Konstrukt gehen und ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten dort bleiben, bis ihn schließlich etwas davon trennte, egal was. Dieses kleine Büro könnte die allerletzte Zuflucht seines Lebens sein und vielleicht sein erstes Grab.

Und so setzte sich der Programmierer wieder auf den Stuhl, nachdem er sich lediglich mit einem kalten Sandwich und ein paar Schlucken Wasser gestärkt hatte und aktivierte seine Konsole. Langsam und milde lächelnd drehte er den filigranen Kopfschmuck in den Händen, der Impulse und unzählige Informationen direkt in seine Hirnwindungen schießen würde. Schließlich ließ er ihn liebevoll über seinen Schädel gleiten und fühlte die Kühle der Kontaktflächen, die sich an seine Schläfen pressten.

Der letzte Gedanke in der realen Welt erinnerte ihn an seine Erschöpfung, die er in den vergangenen Momenten radikal ignoriert hatte …

 

… Linien umflossen sein verschicktes Bewusstsein, so vertraut wie auch die tausenden Male davor. Fast automatisch rief er die Befehlskonsole auf, die er trotz ihrer rein virtuellen Art fühlen konnte. Nur Momente hielt er inne und überlegte, wohin die Reise gehen sollte. Möglichkeiten in unendlicher Vielfalt erschienen in Bruchteilen von Sekunden vor seinem inneren Auge und flossen abgelehnt davon. Die Entscheidung fiel letztendlich nicht schwer. Es würde der nördliche Stadtrand von Plexis sein.

Noch bevor ihn der kurze Ladeprozess dahin führte, sah er den gewundenen Pfad außerhalb des Stadttores, der ihn von der Hauptstraße ins bewaldete Hügelland hineinführte. Peter Norm, der niemals im Konstrukt ein Pseudonym angenommen hatte, kannte sein Ziel genau. Er hat es mit erschaffen und hoffte inständig, dass es von jeglichen Modernisierungsaktionen verschont geblieben war.

Er würde durch verlassene Gefilde wandern und nach einem strapazenreichen Spaziergang in ein felsiges Tal kommen, in dem genau sieben Quellen entsprangen und uralte Bäume wuchsen. Feenland! Normalerweise gebührte nur ausgezeichneten Charakteren einer riesigen fantasievollen Spielerwelt der Zutritt zu diesem Areal, quasi als besondere Belohnung.

Doch Peter Norm war einer der Schöpfer dieses Ortes (worauf er immer noch mehr als stolz war), was ihn jeder Zeit zum Zutritt berechtigte. Selbst der tyrannische Anton Reimig, welcher in der riesigen virtuellen Stadt unter dem Namen „Kayal der Große“ über seine künstliche Welt herrschte und über Weh und Gedeih unzählige Händler, Raumpiloten, Drachentöter und Vampirjäger unter seiner Knute hielt, würde ihm dieses Recht nicht nehmen.

Durch die an Depression grenzende Enttäuschung der letzten Jahre, hatte Peter Norm diesen Ort gemieden, wie als wollte er ihn nicht durch seine Anwesenheit besudeln. Natürlich war dem Programmierer die Unsinnigkeit derartiger Gedanken bewusst und doch war auch er im Unterbewussten ein manipuliertes Kind seiner Zeit.

Als all die Erinnerungen in den Hintergrund rückten, wurde sich Peter Norm der Umgebung bewusst. Sie erschien so real und war doch eigentlich nur ein in sein Hirn projiziertes Bild aus Daten und Zahlen, wie eine gesteuerte Einbildung. Das Stadttor von Plexis lag kurz vor ihm und nichts schien an dessen Erscheinung geändert worden zu sein. (Er war schon viele Jahre der realen Zeit nicht mehr hier gewesen.) Das war zumindest ein beruhigender Umstand, der seiner Hoffnung auf ein unversehrtes Ziel Nahrung gab.

Der Informatiker, welcher seinen simulierten Körper immer nahe am realen Vorbild hielt, kam sich in der Gesellschaft aller anderen schon etwas exotisch vor. Noch immer trug er den Nadelstreifenanzug und war auch von seinem gesamten restlichen Wesen ziemlich ungeschminkt. Die anwesenden User hingegen hatten sich üblicherweise heraus geputzt. Es gab kräftige Krieger in der dazugehörigen Montur und strahlende weibliche Schönheiten, geschmeidig idealisierte Diebe und protzige Edelleute. Auch die extremeren Fantasien fanden hier ihre Abnehmer in Form von abgerissenen Dirnen und sich bieder gebenden Religionsfanatiker irgendeines abstrakten Kultes. Die Abbilder klassischer Fantasie und ihre leicht exotischeren Varianten waren scheinbar an diesem Ort das höchste der Gefühle. Es war eine seltsam konforme Prozession, die an wirklicher Fantasie zweifeln ließ.

Peter Norm kannte andere Viertel, in denen sich das Bild völlig änderte und zwar in eine andere Konformität. Schon oft beschwörte er insgeheim die Anarchie, welche ohne die steifen Regel der regierenden Firma und die Beschränktheit der User möglich gewesen wäre. Er selbst liebte das Konstrukt, als dass, was es war. Für ihn war es eine Zuflucht, während es für viele der Konsumenten immer mehr zur wirklichen Welt wurde. Genau dies war auch der Grund für sein Erscheinungsbild. Der Programmierer wollte nicht den Bezug zur physischen Welt verlieren, um sich dann in einer armseligen Enklave der eingeschränkten Fantasie wiederzufinden.

Ein weiterer Grund war seine offen zur Schau gestellte Rolle im Konstrukt. Jeder der Personen, welche billigsten Fantasie-, Zukunfts- oder Horrorromanen entstiegen zu sein schienen, nahm ihn als Etwas wahr, dass nicht in das Bild ihrer ständig im Kampf um Gut und Böse liegenden Welt passte. Seine hagere Erscheinung, das schüttere leicht ergraute Haar, der Anzug und allgemein sein Auftreten weckten grundsätzlich die Assoziation mit etwas Offiziellen. Peter Norm wollte in die pathetisch-heroischen Duelle und Zwistigkeiten nicht verwickelt werden. Er hatte nichts übrig für primitive Spiele dieser Art.

Nun ging der Programmierer in zügigen Schritten auf das überdimensionale Tor zu, bewaffnet mit seiner Rüstung der Nichtdazugehörigkeit und freute sich auf den Moment, an dem er die große Straße verlassen konnte. Schon sah er die Wachen, die nach seiner Kenntnis reine Computerkonstrukte waren, ohne einen User, der ihm vielleicht Probleme machen konnte. Langsam sah er sich um, immer auf der Suche nach Stolpersteinen in Form von Systemwächtern, die bei Global Visions nach Art einer Security-Abteilung von angestellten Usern gesteuert wurden. Er wollte keinesfalls riskieren, dass er auf diesem wahrscheinlich letzten Gang aufgehalten wurde.

Tatsächlich entdeckte er zwei der typisch blau gewandeten Firmensims, die ihm scheinbar unauffällig zu folgen versuchten. Das Unauffällige wurde durch das Outfit schon von Grund auf ausgeschlossen. Aber genau diese Uniformiertheit von Sicherheitspersonal war ein internationales Gesetz, dem sich auch Global-Visions beugen musste.

Allerdings würden sie hinter dem Tor bestimmt keinen Erfolg haben, dafür würde er sicherlich sorgen können (so hofft der Gejagte zumindest). Die Wahrscheinlichkeit, dass sie den kleinen Pfad fanden, war gering.

Die Wachen am Tor, welche nur noch wenige Schritte von ihm entfernt waren, musterten ihn ganz nach ihrer Programmierung skeptisch. Doch Peter Norm schickte ihnen über eine nur für ihn sichtbare Konsole den Code seiner Identität, wohl wissend, dass es in der realen Welt von den Systemen sofort registriert wurde. Aber hier ließen ihn die gerüsteten Uniformierten ungehindert passieren. Die automatischen Systeme würden es den dazu autorisierten Personen überlassen, diesen Fall zu regeln. Auch das war dem Programmierer bewusst. Sie würden ihn in der realen Welt stellen und ihn hier nur überwachen.

Peter Norm lächelte vor sich hin und öffnete ein weiteres Fenster der Konsole, drehte sich um die eigene Achse, um sich davon zu überzeugen, dass ihn keiner der Firmenagenten oder sonst wer mehr im Blick hatte und aktivierte ein Programm.

Sein Erscheinungsbild änderte sich schlagartig. Der Programmierer hatte jetzt die Gestalt eines alten Eremiten, der mit brauner Kutte und knorrigen Wanderstab seines Weges ging. Die tatsächliche Identität war verborgen, wie durch einen Tarnumhang vor den wachsamen Systemen im Konstrukt. Es war das erste Mal überhaupt, dass Peter Norm diese Verschleierungspersönlichkeit annahm, obwohl er sie vor Jahren und aus unbestimmten Gründen geschaffen hatte. Seine jetzige Sim-Existenz würde ihn nicht ewig verborgen halten, aber hoffentlich lange genug.

Peter Norm fand den schmalen Pfad, der nur wenige hundert Meter vom Tor in das ihn verbergende Gestrüpp ein bog, auf Anhieb. Noch immer lächelte er mit seinem Eremitengesicht, während er das sich zwischen felsigen Grund dahin schlängelnde schmale Band betrachtete, was ihn zu seinem Ziel bringen würde.

Die Erschöpfung meldete sich schon nach kurzer Zeit. Der zurückgelassene physische Körper des Informatikers begann sich auf sein geistiges Ich auszuwirken. Allerdings fiel es Peter Norm leicht die durch die Simulation übertragenen Schmerzen in seinen Gliedern zu ignorieren. Auch schaffte er es mit einer gewissen Willensanstrengung seine Sinne aufrecht zu erhalten. Er entdeckte den ersten Elfenbusch auf dem Weg, dessen schimmernd violetten Früchte eine großartig belebende Wirkung hatten, auch wenn es im realen Sinne nur ein Placebo war. Er hoffte inständig, dass sich dieses Wissen nicht auf die vermeintliche Wirkung niederschlug. Aber schließlich waren die auslösenden Informationen, die seinen Geist und sein Gehirn beeinflussten eine tatsächliche Komponente. Und so pflückte sich der Programmierer mehrere dieser virtuellen Köstlichkeiten und versuchte sich ganz auf den Geschmack zu konzentrieren, der mit fast an Absolutheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei jedem anders war.

Tatsächlich spürte Peter Norm Wärme durch seine Adern fließen und ein gesundes Maß an Kraft zurückkehren. Wieder einmal hatte der Geist den Körper bezwungen, auch wenn es durch eine virtuelle Manipulation geschah.

Mit neuem Tatendrang lief er weiter, immer den sich windenden Pfad entlang, dessen Seiten von immer älteren Bäumen und höher werdenden Felsformationen flankiert wurde. Die Fülle an Insekten, Vögeln und anderen Kleintieren wurde immer dichter und farbenfroher, ohne bedrohlich zu sein. Der Bestand von Sträuchern und niederen Pflanzen erschien immer exotischer. Peter Norm hatte sein Ziel bald erreicht. Schon hielt er Ausschau nach dem schmalen Spalt, der ihn auf dem letzten Stück den Einlass in eine einzigartige Höhle gewährte.

Der gezackte Riss im Fels kam tatsächlich in Sicht. Doch plötzlich hatte Peter Norm ein ungutes Gefühl, das sich durch seinen Magen wühlte. Nur einen Moment lang zögerte er, bevor er trotzig voran schritt. Ein seichtes Leuchten erwartete ihn in der Höhle, genau wie kühler Wind, der spürbar feucht auf seine Haut traf. Der Programmierer in Eremitengestalt erkannte schon nach wenigen Augenblicken wieder den schmalen Pfad, der sich durch die allseits präsenten Tropfsteine schlängelte.

Mit deutlich langsameren Schritten bahnte er sich einen Weg durch das felsige Labyrinth, wo sich fallende Wassertropfen als allgegenwärtiges Geräusch mit dem Boden vereinigten. Doch von irgendwo her klang der feuchte Aufprall irgendwie anders, unnatürlich verzerrt, fast wie von einem zu primitiven Synthesizer produziert. Sofort fühlte sich das unangenehme Gefühl in der Magengegend bestätigt und ließ neue Wellen durch den künstlichen Körper jagen (der es sinnbildlich für den physischen empfand).

Mit aller Macht versuchte Peter Norm es nieder zukämpfen. Fast glaubte er schon wieder die Oberhand zu gewinnen, als sich die unnatürlichen Wassergeräusche zu einem kreischenden Ton steigerten, der sich unerbittlich und destruktiv in seinem Schädel festzusetzen schien. Der Programmierer schlug sich in einer gequälten Geste die Hände an den Kopf, ohne das er seinen eigenen Schrei hörte. doch der Schmerz ließ ganz plötzlich nach.

Momente stand er da und versuchte sein Gemüt zu beruhigen und seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Dann lauschte er und … nichts! Da war kein ungewöhnliches Geräusch mehr. Dafür spielten seine virtuellen Augen (als Ersatz für das physisch visuelle Gehirnareal) ihm einen Streich. Es sah aus, als würden kleinere Stellen der Höhle, unabhängig von ihrer Lage, Bruchteile von Sekunden, ihre Stabilisation einbüßen.

Peter Norm schüttelte seinen Kopf, wie um wieder Klarheit zu erlangen. Wahrscheinlich spielte ihm sein dauerhaft übermüdeter Geist einen Streich. Plötzlich musste er lächeln. Er hätte damit rechnen müssen. Schließlich hatte er beim erneuten Betreten des Konstrukts die gefährliche Erschöpfung billigend in Kauf genommen.

Nach einigen Atemzügen, um imaginär Luft zu schnappen, setzte der Programmierer seinen Weg fort. 'Wenn mich jemand sehen könnte, würde sicher der Gedanke aufkommen, dass ich mich kurz vor dem Herzkasper dahinschleppe.', dachte Peter Norm noch bei sich. Und dieser Gedanke erheiterte ihn durchaus.

Endlich sah er die ersten hellen Flächen der Höhle, die auf Tageslicht hindeuteten. Er hatte sein Ziel fast erreicht. Er schwelgte in der Vorstellung, dass er sich an einem der schönsten Orte des Konstrukts (zumindest von denen, die er persönlich kannte) einfach seiner Erschöpfung hingeben würde. Warum sollte er in das physische Universum zurückkehren? Warum sollte er sich dem Ungewissen seiner Zukunft stellen, die eindeutig irgendwie nach Hölle roch.

Trotzdem blieben Zweifel hinter diesem sonst so erquicklichen Gedanken. Konnte seine Idee ein Fehler sein? Lohnte es sich an diesem Punkt überhaupt noch darüber nachzudenken? Womöglich war eine Rückkehr, ungeahnt der nahenden Dinge, so oder so unmöglich. Vielleicht reichte seine körperliche Kraft gar nicht mehr, um sich ohne Hilfe von seiner Erschöpfung zu erholen.

Wer würde ihm da auf der anderen Seite schon helfen? Sicher empfanden es die leitenden Köpfe als unkomplizierte Lösung eines Problems, ohne dass sie sich auch nur im Geringsten die Hände schmutzig zu machen brauchten. Genau solche Gedanken nährten die Zweifel hinter seiner friedlichen Intention.

Peter Norm war in seinem Leben nie ein wagemutiger Kämpfer gewesen. Und doch kroch ihm plötzlich Stolz in seine Gedanken. Wollte er es denen, die als Tyrannen die Welt im Würgegriff hatten, es wirklich so einfach machen? Wäre er ein Opfer, dann würde zumindest Schuld an ihnen kleben. Wer weiß, wozu es gut wäre.

Mit letzter Kraft riss er sich aus seinen Gedanken, um endlich den Ort zu erschauen, den er unter Aufbietung seiner letzten Kräfte erreicht hatte. Und da war er! Beschienen von der goldenen Sonne des späten Nachmittag lag ein seichtes Tal vor ihm. Vereinzelte turmhohe Bäume, deren gigantische Kronen weit in den Himmel ragten, warfen Lichtspiele auf die mit sanften Moos bewachsenen Stellen. Sanfte Wellen spiegelten Licht auf dem idyllischen See, der das Zentrum dieses Ortes zu sein schien und von fröhlich plätschernden Bächen gespeist wurde. Kleine Felsbrocken mit samtigen Grün überzogen, lagen wie zufällig angeordnete Altäre der natürlichen Schönheit an vielen stellen. Und prächtige Blumen schienen sich gegenseitig an Anmut überbieten zu wollen.

Doch das Außergewöhnlichste waren die eleganten, fast durchsichtigen Feen, die zwischen den bunten Vögeln und Kleintieren umher schwirrten und seltsam entrückte Gesänge von sich gaben.

Am Ufer des kleinen Sees ließ sich Peter Norm nieder und genoss die Atmosphäre in aufkommender Schläfrigkeit. Alle strittigen Gedanken waren aus seinem Denken geflossen. Jetzt wollte er nur noch hier sitzen und die Einzigartigkeit dieses für ihn so besonderen Ortes genießen, welchen der Programmierer schließlich selbst mit erschaffen hatte. Was kümmerte ihn schon diese seltsam komplizierte Welt seines physischen Ichs? Sie war so weit weg.

Doch die Qual kehrte wieder. Erst leise und dann sich bis zur Unerträglichkeit steigernd, schwoll das zerreißende Geräusch wieder an. Vor seinen Augen fanden ultraschnelle abstrakte Veränderungen statt. Dinge lösten sich kurzzeitig auf oder verschoben sich zu grotesken Formen. Farben verschwanden und kehrten in falscher Weise zurück.

Während das jetzt wabernde Geräusch im Hirn des Programmierers zu kreisen begann, kehrte vieles zum Ursprung zurück, um an anderen Stellen erneut in unsinnige Verwandlungen überzugehen. Der Ort, den er als Paradies kannte, hatte sich gerade jetzt in eine an Absurdität grenzende Hölle verwandelt. Peter Norm hatte jedoch nicht mehr die Kraft zum Schreien oder irgendeiner anderen abwehrenden Reaktion.

Verschwommen und nahe der völligen Katatonie schwebte eine Gestalt auf ihn zu. Er ließ sie kommen. Was blieb ihm sonst auch übrig? Das Einzige was er versuchte, war das Erkennen zu steigern. Doch es fiel ihm immens schwer, da jegliches Detail, was er fassen konnte, ihm gleich wieder entwich. Erst im letzten Augenblick erkannte er die Person, welche ihm hierher gefolgt zu sein schien. Dennoch dauerte es etwas länger (zumindest kam es ihm so vor), bis sein Gedächtnis ihm zähe Erkenntnisse lieferte.

Der alte Mann, welcher mit kahlem Kopf und dem vom langen Rauschebart eingerahmten Lächeln auf ihn zukam, hatte er erst vor wenigen Stunden verlassen. Was wollte der Meister der Träume hier von ihm?

Und dann drang seine Stimme in sein Ohr. Es war, als brauche sie dafür eine unfassbar lange Zeitspanne.

„Peter Norm! Ich bitte dich, kehr zurück! Man braucht dich noch!“

„…kann nicht …“

„Schließe die Augen und lass zu, dass man dir hilft. Irgendwann wirst du es vielleicht verstehen. Du hast noch eine Aufgabe zu erfüllen und Hilfe ist schon vor Ort …“

Auch ohne Aufforderung konnte der Programmierer die Augen nicht mehr offen halten. Der Wille versagte im selben Augenblick vollkommen, da die Lider sich senkten. Sein letztes Gefühl war ein Sog, der ihn nach innen zu ziehen schien. Dann schwand sein Bewusstsein völlig und er wurde aus der visuellen Welt gerissen.

 

 

 

 

 

 

One thought on “Sven Billwitz / Phantasmagorie / Leseprobe

  1. Die virtuelle Welt hat auch seine Vorteile…eine Webseite kann die nächste Evolutionsstufe des Buches sein 😉 und die Reichweite ist bedeutend höher. Falls man wirklich gehört werden will. 

    Grüße Billy 😉

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