Liebe Leserinnen und liebe Leser,
wir möchten Sie auf dieser Seite gerne anhand von Presseartikeln über die Situation auf dem deutschen bzw. deutschsprachigen Buchmarkt informieren. Natürlich liegt unser Fokus dabei eher bei den kleinen und mittleren Verlegen, deren Interessen wir ja vertreten und auf deren Nöte aber auch Vorzüge wir besonders aufmerksam machen wollen.
Aber natürlich sehen sich auch Buchhändler und große Verlage Herausforderungen gegenüber, die eigentlich in ihrer Gänze bisher nur zu erahnen sind. Darum auch hin und wieder hier ein Bick über den ´deutschen Tellerrand´ hinaus.
Wir bemühen uns also um ein insgesamt ausgewogenes Bild, das wir Ihnen, liebe Leser und Leserinnen mit selbstverständlich weitgehend subjektiven Presseartikeln bieten wollen.
Aus rechtlichen Gründen veröffentlichen wir keine Fotos. Weiterhin stellen wir auch nicht den jeweils vollständigen Artikel auf unsere Webseite, sondern nur eine einführende Leseprobe. Auf jeden Fall folgt am Ende der Leseprobe der Link zum Originalartikel und somit zum Rechteinhaber.
PRESSEARTIKEL
Bücherkrieg: 909 Autoren gegen Amazon
Lange hielt man Amazon-Chef Jeff Bezos für eine Art Robin Hood der Buchwelt. Inzwischen wirkt er auf viele mehr wie Prinz John: Jetzt wenden sich 909 US-Autoren öffentlich gegen das Unternehmen. Amazons Image ist im Sturzflug.
Amazon-Chef Jeff Bezos erwartet Post, wenn auch unerfreuliche: Die Sonntagsausgabe der „New York Times“ wird einen ganzseitigen offenen Brief an ihn und sein Unternehmen Amazon enthalten, in dem schwere Vorwürfe zu lesen sind. 2,4 Millionen Käufer der Zeitung (Digitalverkauf inklusive) werden darin erfahren, wie Amazon Verlage unter Druck setze und Autoren schade. Unterzeichnet ist das Protestschreiben von 909 Autoren, von denen viele zu den Dauergästen auf den literarischen Bestsellerlisten zählen – auch bei Amazon.
Verfasst wurde das Protestschreiben von Thrillerautor Douglas Preston. Dessen Bücher erscheinen in den USA bei einem Tochterverlag des Unternehmens Hachette, was Preston zum Leidtragenden eines seit Monaten öffentlich ausgefochtenen Streits machte: Weil Hachette es ablehnte, sich darauf einzulassen, mehr Geld vom Verkaufspreis von E-Books an Amazon abzutreten, behinderte Amazon die Auslieferung von Hachette-Büchern.
Nicht nur in den USA klagen Verlage seitdem öffentlich über Knebelverträge eines Unternehmens, das das Marktsegment des Onlinebuchhandels weitgehend dominiert. Amazon hielt mit einem Angebot an die Hachette-Autoren dagegen: Um zu zeigen, dass es um einen Disput zwischen Handelspartnern gehe, der keinesfalls zulasten der Autoren gehen solle, bot die Firma an, bis zur Beilegung des Streits die Erlöse aus den Ebook-Verkäufen komplett an die Autoren zu zahlen. Hachette lehnte ab – offenbar mit Billigung seiner Autoren.
Amazon will alles sein
Die bekannten Vorwürfe erhalten nun neues Gewicht, weil sie eben von Autoren kommen: Preston hatte offenbar wenig Mühe, auch prominente Kollegen wie Stephen King, Paul Auster, James Patterson oder John Grisham zur Unterschrift zu bewegen.
Für Amazon ist das besonders schmerzlich, weil die Firma zwar Stellung gegen Verlage und Handel bezieht, sich selbst aber gern als Freund aller Autoren stilisiert – eine Art Robin Hood in einer Branche, die Autoren behandele wie einst der Sheriff von Nottingham seine Untertanen.
Das Unternehmen bemüht sich seit einigen Jahren massiv, Schreiber dazu zu bewegen, direkt bei Amazon zu veröffentlichen. Den Zwischenhandel auszuschalten, liegt dem Onlineversandhändler ja quasi in den Genen; seit einiger Zeit hält sich Amazon aber auch für fähig, Verlage zu ersetzen. Die Firma lockt Autoren mit Tantiemen, die oft zehnmal höher liegen als im klassischen Verlagsgeschäft. Neben E-Books veröffentlicht Amazon unter den Labels eigener Verlagshandelsmarken auch gedruckte Bücher. Und auch hier sind die Bedingungen für Autoren prinzipiell fantastisch.
Ein Klassenkampf?
Mit dem Abstrich, dass diese Werke eben meist nicht im Buchhandel präsent sind, sondern nur via Amazon erhältlich. Bisher erreicht Amazon mit seinen Veröffentlichungsofferten deshalb vor allem Newcomer und Selbstverlagsautoren – die Underdogs der Literaturszene, von denen manche so bisher ungekannte Erfolgserlebnisse haben. Etablierte Autoren ziehen aber meist noch die Unterstützung durch einen Verlag vor.
Sie schrecken davor zurück, sich von einer Firma abhängig zu machen, die nicht nur gleichzeitig Verlag, Handels- und Veröffentlichungsplattform sein will, sondern auch noch das Monopol auf die einzigen Geräte hält, mit denen man die elektronische Version der Werke lesen kann, wenn die exklusiv bei Amazon erscheinen.
Entscheidet sich ein Autor aber, sein Werk auf mehreren Plattformen zu veröffentlichen, enthält Amazon ihm die besten Konditionen vor. Kritiker des Unternehmens halten die Umarmung der Autoren darum eher für eine Art Doppelnelson – ein als „eisern“ geltender Haltegriff, der das Potenzial hat, das Genick zu brechen.
So gewürgt fühlen sich Buchhandel und Verlage schon seit Längerem. In den USA hat der Handel jeden Grund dazu. Onlinehändler wie Amazon verdrängen den physischen Buchhandel zunehmend aus dem Straßenbild der Städte. Seit einigen Jahren gibt es in den USA erste Millionenmetropolen, in denen es keinen Buchhändler mehr gibt.
Der Markt ist dort dabei, sich zu entstofflichen: E-Books – ein Markt, den Amazon weitgehend dominiert – werden in den USA seit Jahren in höherer Stückzahl verkauft als Taschenbücher.
Hierzulande ist es noch nicht so weit, E-Books sind ein Nischenmarkt mit im internationalen Vergleich ungewöhnlich hohen Preisen …
Amazon gegen Verlage: Bücherkrieg in Amerika
Amazon kontrolliert fast die Hälfte des US-Buchmarkts, Schriftsteller sprechen von einem Monopol. Doch dem Online-Konzern ist das nicht genug: Mit fiesen Methoden geht er gegen Traditionsverlage vor.
James Patterson ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Welt. Er produziert Bestseller am Fließband, dieses Jahr tragen bereits 16 Titel seinen Namen, meist mit Co-Autoren oder, etwa bei seiner populären Alex-Cross-Krimiserie, als Alleinverfasser. Seit 1976 hat er so mehr als 300 Millionen Bücher verkauft.
Trotz seiner althergebrachten „Airport-Literatur“ ist Patterson ein Pionier. Er hat die digitalen Umwälzungen erkannt und nutzt sie, statt sie zu fürchten. Zugleich engagiert er sich für die, die dabei unter die Räder geraten. So spendete er eine Million Dollar aus seinem Privatvermögen an Hunderte kleine Buchläden.
Jetzt aber ist Patterson der Kragen geplatzt.
„Es ist eine nationale Tragödie“, schimpfte er bei einer Preisrede auf der größten US-Buchmesse BookExpo America in New York. „Wenn das der neue American Way sein soll, dann muss er vielleicht geändert werden, per Gesetz, wenn nötig sofort, wenn nicht früher.“
Die „nationale Tragödie“, die er beschwor, hat einen Namen: Amazon. „Hallo, ich bin Jeff Bezos„, begann Patterson seine Rede, in Anspielung auf Amazons Gründer und Vorstandschef. Der „durchgedrehte“ Online-Händler, donnerte er, führe einen „Wirtschaftskrieg“ gegen die Verleger – und Buchläden, Büchereien, ja sogar „die Bücher selbst“ gerieten dabei „ins Kreuzfeuer“.
Vier von zehn Bestsellern betroffen
Anlass für Pattersons Tirade sind der gnadenlose Vormarsch und die rabiaten Methoden Amazons. Das Unternehmen kontrolliert Schätzungen zufolge fast die Hälfte des US-Buchmarkts. Langsam müsse Washington „eingreifen“, fordert Patterson: „Das klingt nach dem Anfang eines Monopols.“
Im Mittelpunkt der Kontroverse – und stellvertretend für die restliche Branche, der das noch droht – steht Pattersons Hausverlag Hachette. Der ist in einen bitteren Vertrags- und Preiskrieg mit Amazon verstrickt. Dabei geht es vor allem um die Preisgestaltung von E-Books.
Amazon will einen Präzedenzfall schaffen: Als Druckmittel verweigert der Konzern Vorbestellungen für rund 5000 neue Hachette-Titel, verzögert die Auslieferung um Wochen und streicht Rabatte – katastrophale Strafaktionen für Verlag wie Autoren. „Wir sind nicht optimistisch, dass sich das in Kürze lösen lässt“, erklärte der Konzern.
Damit eckt Amazon nicht nur in den USA an. Auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels reichte jetzt Beschwerde ein, und zwar beim Bundeskartellamt: Amazons „erpresserisches Vorgehen gegenüber Verlagen“ verstoße gegen das Kartellrecht.
Hier gehe es „um die Zukunft des ganzen Verlagswesens“, schreibt Jeremy Greenfield, Chef der Plattform „Digital Book World“, auf seinem Blog. Hachette ist kein Kleinverlag. Er gehört zum französischen Medienkonglomerat Lagardère, das voriges Jahr fast zehn Milliarden Dollar umsetzte. Das ist immer noch viel weniger als die 74,5 Milliarden Dollar, die Amazon 2013 einfuhr. Doch wie die „New York Times“ meldet, plant Hachette in der Auseinandersetzung mit Amazon einen gewichtigen Zukauf: Er übernimmt die Verlage der Perseus Book Group, eine US-amerikanische Mediengruppe mit Sachbuchschwerpunkt, die zu den zehn größten Publikumsverlagen des Landes zählt.
BUCHMARKTGigant ohne Geist
„Wir lieben Autoren“, behauptet Amazon, der größte Buchhändler der Welt. Der Konzern macht mittlerweile selber Bücher – nicht nur elektronische, sondern auch gedruckte. Damit greift Amazon das alte System der Autoren, Verlage und Buchhändler frontal an. Der Buchkultur, wie wir sie kennen, droht der Kollaps.
Am Dienstagnachmittag kommt der Teufel bei Amazon vorbei. Es ist das Treffen eines Autors mit seinem besten Verkäufer. Der Teufel trägt ein knatschrotes Kostüm, es spannt über dem Bauch. Seine Schuhe sind rot, seine Teufelsmaske ist rot, schwarze Hörner bohren sich durch einen Cowboyhut, und auf der Brust prangt das Coverbild seines Buches. Das Buch heißt: The Devil Repents, »Der Teufel bereut«, und es zeigt: einen knienden Teufel vor dem gekreuzigten Jesus.
Der Teufel heißt Philip Garbarino. Und er tritt auf in New York, bei der BookExpo America, der größten Buchmesse Amerikas, im Javits Center, einem riesigen Glaskasten am Hudson River, um Werbung für sein Epos zu machen. In drei Teilen soll es erscheinen und die ganz große Frage beantworten: Soll Gott dem Teufel vergeben? Garbarino geht zum Amazon-Stand und sagt zu den Verkäufern: »Der erste Teil der Trilogie ist jetzt draußen, und wir promoten das Buch zusammen, es ist der Hammer!« Die Amazon-Verkäufer starren ihn an und sagen nichts, der Teufel dreht sich um, schnappt sich zwei junge Männer. Er ruft: »Soll Gott dem Teufel vergeben?«, und knufft ihnen in die Seite. Ein dritter zückt seine Handykamera, der Teufel stellt sich in die Mitte. Klick, ein Foto, klick, zwei Fotos. Der Teufel wackelt mit dem Schwanz. Klick, noch ein Foto.
Dieser Teufelsautor Philip Garbarino ist ein Autor der neuen Zeit. Ein Autor ganz nach dem Geschmack von Amazon. Mit Haut und Haar vermarktet er sich selbst. Es gibt keinen Verlag, der ihn druckt, alles macht er allein, und am Ende verkauft er sein Werk als E-Book, meistens über Amazon. Aber hier, in der Öffentlichkeit, da ist Amazon diese Teufelssymbolik suspekt. Mit ihr wollen sie nichts zu tun haben. Vielleicht weil sie selbst im Ruch stehen, der Teufel zu sein, »ein schonungslos Geld machender Teufel«, wie James Daunt, Chef der britischen Buchhandelskette Waterstones, behauptet.
Die Amazon-Verkäufer treten zwei Schritte beiseite und wenden sich wieder ihren Kunden zu, den Autoren und Agenten, um sie ungestört von ihrem Konzept und ihren Angeboten zu überzeugen, von all dem, was der Spruch auf ihren grauen und weißen T-Shirts vereint: »We Love Authors«, steht dort. Und anstelle des »Love«ist ein orangefarbenes Herz um das »We« gemalt. Denn Amazon ist nicht der Teufel. Amazon ist Liebe. Sagt jedenfalls Amazon.
1995 gründete Jeff Bezos, ein Elitestudent aus einfachen Verhältnissen, die kleine Garagenfirma amazon.com als Online-Buchhändler. Er war nicht der Erste, der im Netz Bücher verkaufte, aber er war der Cleverste, weil er die Logik des Internets verstand: Wer als Erster ganz groß ist, muss niemanden mehr fürchten. Sein Plan ging auf: Keiner verkaufte in den vergangenen Jahren so viele Bücher wie Amazon. Und nicht nur das. Inzwischen kann jeder über die Seite auch Toilettenpapier, Snickers und Kühlschränke kaufen.
Den Großteil seines Umsatzes macht Amazon mit seinen Supermarktprodukten. Das hat das Unternehmen nach ganz oben gebracht. Gemeinsam mit Google, Facebook und Apple teilt es die Welt des Internets untereinander auf. Aber es sind die Bücher, die alte Liebe von Jeff Bezos, die jetzt wieder im Mittelpunkt stehen. Bezos will den Buchmarkt ein zweites Mal auf den Kopf stellen – in einer Zeit, die unübersichtlicher und deshalb für eine derartige Revolution günstiger nicht sein könnte: Weltweit verschieben sich die Kräfteverhältnisse zwischen Urhebern, Verwertern und Rezipienten. Der Streit ums Urheberrecht ist eskaliert, die Rolle der Zwischenhändler in Internetzeiten ist unklar, die Funktion der Kunst in einer digitalen Kopiergesellschaft muss neu ausgehandelt werden. Amazon hat die Sprengkraft der Umwälzungen erkannt und sich entschieden: Wir solidarisieren uns mit den Autoren und den Lesern. Wir versuchen uns als Zwischenhändler so weit wie möglich unsichtbar zu machen. Dann können wir alle anderen – die Verlage, die Auslieferer, die Buchhändler – in die Enge treiben. Wir können sie als überflüssige Elemente des Systems aus der Verwertungskette herauskomplimentieren und danach die gesamte Buchwelt beherrschen. Wenn das gelingt, wird das nicht zuletzt für die Liebhaber von Literatur ein Albtraum. Die Buchkultur, wie wir sie seit Gutenbergs Erfindung der Druckpresse kennen, wäre zerstört.
Drei Werkzeuge will Bezos in diesem Feldzug zum Einsatz bringen. Zum einen das Verlagswesen, das er aus dem Boden gestampft hat. Seit gut einem Jahr ist Amazon nicht mehr nur Buchhändler. Seit gut einem Jahr macht Amazon auch Bücher. Mit eigenen Scouts, mit eigenen Lektoren, mit eigenen Autoren. Amazon Publishing nennt sich diese Geschäftssparte, mit der Bezos den angestammten Verlagen Konkurrenz macht.
Als zweites Werkzeug hat er Self-Publishing-Plattformen gegründet. Sie erlauben Autoren, ihre Bücher in Eigenregie zu veröffentlichen. Wer ein fertiges Manuskript hat, kann es zum Beispiel bei CreateSpace ohne großen Aufwand in ein E-Book-Format umwandeln, mit einem Preis versehen und verkaufen. Möglich ist auch, das Buch drucken zu lassen und über Amazons Versand zu vertreiben. Das sorgte anfangs für Spott, die Plattformen von Amazon und anderen Anbietern galten Kritikern als Ramschhalden. Doch dieser Spott ist spätestens vergangen, als Anfang August gleich sieben selbstverlegte Titel auf der New York Times-E-Book-Bestsellerliste standen – die ursprünglich selbstpublizierten Bücher der Shades of Grey-Reihe, jetzt bei Knopf Doubleday verlegt, nicht einmal eingerechnet. All diese E-Books, von denen die meisten zuerst über die Plattform Smashwords hochgeladen wurden, sind selbstverständlich auch bei Amazon zu kaufen.
Bezos’ drittes Werkzeug ist in seiner neusten Edition 16,6 Zentimeter lang, 11,4 Zentimeter breit und 8,7 Millimeter dick. Es heißt Kindle und ist das Lesegerät, das gedruckte Bücher irgendwann überflüssig machen soll. Es ist der Reader, auf dem man die E-Books lesen soll. Und Jeff Bezos will, dass alle Menschen bei Amazon E-Books kaufen und auf dem Kindle E-Books lesen. In den USA und auf der ganzen Welt. Am liebsten so schnell wie möglich.
Mit den USA, dem größten Buchmarkt der Welt, kann Bezos bisher zufrieden sein. Mit Deutschland, dem zweitgrößten Buchmarkt der Welt, hingegen noch nicht. Deutschland ist bei der Digitalisierung noch ein Entwicklungsland. Gerechnet auf die ganze Branche, machen die E-Book-Umsätze gerade einmal etwas mehr als ein Prozent aus, ein Klacks. Aber es ist abzusehen, dass es dabei nicht bleiben wird. In zwei, drei Jahren können daraus schnell 15 Prozent werden, wie jetzt schon in den USA. Dort hat sich der Umsatz zum Vorjahr fast verdreifacht. Im Bereich der Belletristik liegt er sogar bereits bei 30 Prozent.
Wer also wissen will, wie es bald aussehen könnte auf dem deutschen Buchmarkt, der muss in die USA schauen. Der muss auf die Verleger, Autoren, Agenten schauen und auf die Netzgiganten, auf Apple, Google und allen voran auf Amazon.
Der Amazon-Stand auf der New Yorker Buchmesse liegt etwas abseits, in einer der hinteren Ecken. Die Aufmachung ist schlicht, orange-weiße Banner präsentieren die einzelnen Sparten, das Übersetzungsprogramm, Thriller, Romanzen. Vor einem Flachbildschirm sind ein paar Lederhocker aufgestellt. Ein Werbefilm läuft in Dauerschleife: »Ich habe dieses Veröffentlichungsprogramm nur gewählt, weil es zu Amazon gehört«, sagt der erste Autor. »Es ist eines der besten Dinge, die ich je in meinem Leben ausprobiert habe«, sagt der zweite Autor. »Amazon hat die Verlagswelt unglaublich geöffnet«, sagt der dritte Autor.
Amazon, dieser sonst so verschwiegene Konzern, präsentiert hier sein Narrativ. Es ist eine Erzählung vom Guten und vom Hilfesteller. Eine vom »Enabler«, vom Möglichmacher. Im Zentrum von allem stehen die Autoren. Sie sind es, die bislang doch viel zu schlecht behandelt worden seien, wiederholt Amazon mantraartig. Viel zu wenig hätten sie abbekommen vom Erlös ihrer Werke. 70 Prozent anstelle von 25, das ist Amazons Schlagwort: 70 Prozent des Buchpreises sollen die Autoren bekommen, wenn sie ein E-Book für den Kindle im Selbstverlag publizieren. 25 Prozent ist die E-Book-Marge bei vielen anderen Verlagen – wenn es gut läuft für den Autor.
Amazon macht damit das, was der Teufel eben tut: Es schließt einen Pakt, dem sich das Gegenüber nicht entziehen kann. Es ist wie in den Klassikern, die im Kindle-Regal für 0,00 Euro als Dreingabe stehen. Es ist wie in Goethes Faust, wo Mephistopheles mit dem verzweifelten Faust wettet und Faust sagt: »Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!«
Für die Autoren, die sich mit dem Teufel eingelassen haben, scheint dieser Moment schon da zu sein. Er beginnt in ihren Erzählungen immer mit dem Eintreten von Amazon in ihr Leben. Barbara Freethy ist eine von ihnen. Sie steht am Amazon-Stand, trägt ein knielanges Kleid, und man könnte sie für eine Hausfrau oder eine Grundschullehrerin halten, wenn sie nicht dauernd davon sprechen würde, mit ihren Büchern »die Welt zu erobern«. In den letzten achtzehn Monaten hat sie neunzehn E-Book-Titel mit Amazons Self-Publishing-Programm herausgebracht. 2,2 Millionen Kopien hat sie verkauft – und es werden immer mehr, Tag für Tag. Freethy verfolgt die Zahlen in Echtzeit, über ihren Account. Das bringe einen unglaublichen Spaß, sagt sie. »Neulich ging ich mit meinem Mann spazieren, und als wir zurückkamen, sah ich: O mein Gott, ich habe schon wieder 5000 Bücher verkauft.« Von den 50 Zuhörern am Stand bekommt Freethy dafür spontanen Applaus. Am begeistertsten klatschen diejenigen, die hoffen, es Freethy nachtun zu können.
So wie Freethy es erzählt, scheint es ein Kinderspiel zu sein. Man braucht nichts als einen Roman, den kein Verlag drucken wollte, ein Cover und ein paar Mausklicks. Und wenn es sich nicht verkauft, sagt Freethy, na, dann einfach ein neues Cover nehmen oder dem Buch einen anderen Titel geben, das ist ja das Tolle, »man kann alles jederzeit ändern – bis es klappt«.
Barbara Freethy ist ein Amazon-Phänomen. Und das Phänomen wäre zu vernachlässigen, wenn es nur solche amerikanischen Hausfrauen wären, die ihre romantischen Lebensergüsse aus den Schreibtischschubladen ziehen und damit den großen Durchbruch erzielen. Aber Amazon ist mehr als das. Es ist ernster zu nehmen. Weil auch große Schriftsteller, die auf der New York Times-Bestsellerliste standen, überlaufen und Amazon mit aller Vehemenz verteidigen.
Amazon bietet viel
Wer verstehen will, welche Anziehungskraft Amazon ausübt und warum Autoren in Amazon den besten Verleger aller Zeiten sehen, der muss mit Autoren wie Barry Eisler reden. Als erster Bestsellerautor ging er im Frühjahr 2011 zu Amazon. Eisler arbeitete Anfang der Neunziger drei Jahre bei der CIA, seit 2002 lebt er vom Schreiben. Die Hauptfigur seiner Thrillerreihe ist ein amerikanisch-japanischer Auftragskiller, und sein erstes Buch wurde mit Gary Oldman verfilmt. Eisler hätte sich ausruhen können auf seinen Erfolgen. Er hatte ein 500.000-Dollar-Angebot eines klassischen Verlages. Aber er wollte etwas anderes. »Ich wollte mehr Geld vom Buchpreis, ich wollte bei den Business-Entscheidungen mitbestimmen, und ich wollte so schnell wie möglich erscheinen«, sagt er.
All das bot ihm Amazon. Seine Lektoren lektorierten schnell und gründlich, er sprach alles mit Amazon ab, den Titel, die Covergestaltung, den Preis, und sein Buch The Detachment erschien, wenige Tage nachdem es fertig war, als E-Book. Bis das gedruckte Buch rauskam, dauerte es ein paar Wochen, aber das war für Eisler kein Problem. »Die meisten meiner Leser lieben E-Books, warum soll ich da mit der Veröffentlichung warten, bis die Druckmaschinen endlich fertig sind?« 150.000 E-Books hat er in den ersten Monaten verkauft. Das ist fünfmal so viel wie bei seinem bis dahin bestverkauften Buch im selben Zeitraum – gedruckte Version und EBooks zusammengenommen.
Anfang des Jahres fuhr Eisler von Kalifornien nach Seattle, um alle Mitarbeiter von Amazon, die seine Bücher betreut haben, zu einem Abendessen einzuladen. Es waren 20. Er habe das nie bei einem seiner früheren Verleger gemacht, sagt er. »Aber die Leute von Amazon haben meine Erwartungen derart übertroffen, dass ich mich einfach bedanken wollte.« Schreiben ist für Barry Eisler ein Geschäft. Wer das beste Produkt liefert, der gewinnt. »Und momentan gibt es einfach kein besseres Angebot als das von Amazon.«
Noch ist das Verlagsprogramm von Amazon klein, aber gerade darin liegt seine Stärke: Amazon bietet seinen Autoren einen Service, den sich kein anderer Verlag leisten kann. Sein Paket ist ein Rundum-sorglos-Paket, inklusive der Vermarktungsmöglichkeiten auf dem Kindle und der Amazon-Homepage. Amazon will unwiderstehlich werden, damit sich bald auch die ganz großen Autoren an den Topmargen berauschen. Das ist die Vision von Amazon. Das ist die Vision, die Russ Grandinetti, Vizepräsident für Kindle-Content, für alle Inhalte also, die auf dem Kindle zu lesen sind, propagiert.
Grandinetti sitzt in Amazons Pressezimmer, einem kargen Souterrainraum im New Yorker Javits Center. Er ist der Presse-Abgesandte vom Konzerngründer Jeff Bezos – wenn Medien mit Amazon sprechen wollen, spricht meist Grandinetti mit ihnen. Zu beiger Hose trägt er ein magentafarbenes Hemd und ein dunkelgraues Jackett, und wenn er lacht, dann lacht er wie sein Chef: Dann kracht es aus ihm heraus, dann wird die Lautstärke zur physischen Gewalt, dann hallt es am Ende bedrohlich aus.
Grandinetti hat das Amazon-Narrativ verinnerlicht. Er spielt in Perfektion den lieben, netten Onkel, der niemandem etwas Böses will. Er spielt den Fürsorglichen, der sich um die Verlage kümmert: »Wir haben mit wunderbaren Verlegern in vielen fantastischen Weisen zusammengearbeitet und hoffen, dass das auch in Zukunft immer so weitergehen wird. Sie sind unfassbar wichtig für unser Geschäft.« Er spielt die Rolle des eigenen Verlages herunter: »Unser kleines Verlagsgeschäft gibt uns die Möglichkeit, neue Sachen zu entdecken und zu verstehen, mit welchen Problemen sich die Verleger herumplagen müssen. Daraus lernen wir als Buchverkäufer eine Menge.« Er verkauft Amazon am liebsten als einen bescheidenen Diener der Autoren: »Es hat nie bessere Zeiten für Autoren gegeben. Sie haben viel mehr Möglichkeiten, zu entscheiden, wann und wie und auf welchen Kanälen sie ihre Bücher veröffentlichen. Es geht gar nicht darum, was wir für die Autoren tun, sondern was die Autoren für sich selbst tun.«